Nach dem Aus in Berlin gibt es für 2013 grundsätzliche Zweifel an einer Koalition im Bund. Ganz anders sieht es in Schleswig-Holstein aus.

Berlin. Eigentlich war es nur ein Stück Autobahn, das zwischen SPD und Grünen lag und die Koalitionsgespräche in Berlin platzen ließ . Doch jetzt ist daraus weit mehr geworden als ein Zwist um 3,2 Kilometer Asphalt und eine rein landespolitische Angelegenheit.

Nach der Absage des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) an ein gemeinsames Bündnis wegen unvereinbarer Positionen zur Verlängerung der Berliner Stadtautobahn A 100 kommen auch grundsätzliche Zweifel an der bislang gewünschten künftigen Zusammenarbeit auf Bundesebene auf. Vor allem die Grünen sehen jetzt die Gefahr, dass es doch nicht klappen könnte mit der Ablösung der schwarz-gelben Regierung nach den Bundestagswahlen 2013. Wenn die SPD in der Hauptstadt nun mit der CDU koalieren wolle, sende sie bundesweit ein Signal aus, "dass es möglicherweise auch die Alternative gibt, eine sogenannte große Koalition im Bund zu machen", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir im Deutschlandfunk. Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Partei im Bundestag, warnte: "Das ist keine kluge Entscheidung im Hinblick auf die Ablösung von Schwarz-Gelb im Bund. Das Ziel wird dadurch verunklart."

Für Klaus Wowereit ist Berlin kein Signal für die Wahlen im Bund

Der Ärger der Grünen kommt dabei nicht von ungefähr: Zum großen Unmut einiger Parteifreunde hatte Fraktionschefin Renate Künast vor zwei Wochen verkündet, man solle eine Koalition mit der CDU für 2013 ausschließen - was einer praktischen Festlegung auf die SPD entsprach. Dass Wowereit das Projekt Rot-Grün in Berlin nun schon nach einer Stunde Verhandlungen zu Grabe getragen hat, ist da wie ein Schlag vor den Kopf. Dementsprechend harsch fiel Künasts Reaktion aus. Sie sei sicher, "kein Grüner wird das der SPD vergessen, was mit Wowereit in Berlin passiert ist", sagte sie der "Leipziger Volkszeitung". Für die Grünen sei Glaubwürdigkeit einer der höchsten Werte.

Auch im Norden sieht man die Entwicklungen in Berlin kritisch. Rot-Grün im Bund sei "kein Automatismus", sagte der Grünen-Fraktionschef im Kieler Landtag, Robert Habeck, dem Abendblatt. "Berlin macht deutlich, dass unsere Differenzen mit der SPD nicht so gering sind, wie es manche annehmen." Das sei allerdings auch nicht schlimm. Die Zeiten der "natürlichen" Koalitionspartner seien vorbei, das habe auch Schwarz-Gelb im Bund gezeigt. "Wichtiger sind politische Kultur und Verantwortungsbewusstsein."

Negative Folgen für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai 2012 sieht Habeck nach eigenen Worten jedoch nicht. "Wir Grüne haben in Schleswig-Holstein auch schon unsere Erfahrungen mit einer rot-grünen Koalition gemacht. Seither fahren wir erfolgreich den Kurs der Eigenständigkeit, und der ist bestätigt worden, eben weil wir genau hinsehen und weder in Lager sortieren noch uns an alte Volksparteien dranhängen." Man werde Situationen vermeiden, in denen ein Koalitionsvertrag diktiert wird, betonte er. Dazu sei man zu unabhängig. "Bei der SPD hingegen wirken Sprüche wie ,Wer Rot-Grün will, muss Rot wählen' jetzt wie blanker Hohn", fügte Habeck hinzu, der als Spitzenkandidat seiner Partei in die kommende Landtagswahl zieht.

Nach Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner lassen die Ereignisse in Berlin ebenfalls keine Rückschlüsse auf Schleswig-Holstein und auch den Bund zu. "Hier gibt es jeweils eine andere Situation, andere Probleme; die schwarz-gelben Regierungen in Schleswig-Holstein und Berlin haben vollständig abgewirtschaftet", sagte Stegner der "Mitteldeutschen Zeitung". Klaus Wowereit selbst versuchte gestern Nachmittag, die Wogen zu glätten: "Die Bundesebene ist die Bundesebene. Die Situation in Berlin ist eine ganz andere, das hat keine Auswirkungen auf Rot-Grün im Bund", sagte er. Selbstverständlich sei die SPD dafür, bei den Wahlen 2013 Schwarz-Gelb in der Bundesregierung abzulösen. "Rot-Grün wäre eine gute Grundlage dafür", so der SPD-Vizevorsitzende. Doch in Berlin hätten sich die Grünen als nicht regierungsfähig gezeigt. Parteichef Sigmar Gabriel forderte jedoch auch von den Bundes-Grünen Veränderung - vor allem bei Verkehrsprojekten. Eine moderne wirtschaftsfreundliche Infrastruktur sei die Grundlage des Wohlstands in Deutschland, dazu gehörten auch Autobahnen, Schienenwege, Stromtrassen und Pipelines, sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Es sei ein großer Irrtum der Grünen, wenn sie meinten, das alles sei im 21. Jahrhundert nicht mehr so wichtig. Es gebe keinen Wohlstand und keinen Fortschritt ohne Belastungen, betonte er. Mitunter müsse man es hinnehmen, "dass die Bagger sich drehen".

Bei den Grünen dürften solche Worte Erinnerungen wachrufen. Schon bei dem umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 oder beim Bau von Hochspannungsleitungen war ihnen von Union und FDP vorgeworfen worden, als "Dagegen-Partei" entsprechende Projekte zu blockieren. Gabriels Schelte wies Habeck jedoch zurück: "Wir messen den Grad an Fortschritt nicht an Kubikmetern Beton, der in den Boden gegossen wird, oder an der Menge Kohlestrom, der in Großkraftwerken produziert wird."

Profiteur des rot-grünen Hickhacks ist unterdessen die CDU. In Berlin kann sie nun doch mitregieren, sofern die Koalitionsgespräche erfolgreich verlaufen. Und die Bundespartei kann sich freuen, weil das Augenmerk einmal nicht auf den Querelen der schwarz-gelben Regierungskoalition liegt. "Der Startschuss für eine rot-grüne Renaissance ist damit gründlich nach hinten losgegangen", erklärte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zufrieden nach den geplatzten Gesprächen zwischen SPD und Grünen. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bedeutet Berlin zudem eine nun wohl doch komfortablere Situation im Bundesrat: Eine Blockademehrheit von SPD und Grünen ist in der Länderkammer nun erst einmal vom Tisch. Koalieren SPD und CDU, würde Berlin zum "neutralen Block" gehören und sich enthalten. Die Regierung muss seit der CDU/FDP-Niederlage in Nordrhein-Westfalen ohne eigene Bundesratsmehrheit auskommen. (abendblatt.de)