Die Spitzen der evangelischen Kirche hofften vergeblich auf ein Entgegenkommen des Papstes. Doch auch Benedikt fordert Zugeständnisse.

Erfurt. Zu Beginn kam Bewegungslust auf. Vor der Tür, durch die der Papst die Erfurter Augustinerkirche betreten sollte, machten Bläser aus dem Kirchenlied "Von Gott will ich nicht lassen" einen kunstvollen Tango. Die geladenen Gäste in der Kirche des einstigen Klosters von Martin Luther begannen mit den Beinen zu wippen.

Doch mit der Bewegung wurde es nichts. Keine der Erwartungen an konkrete Veränderungen im ökumenischen Verhältnis zwischen katholischer und evangelischer Kirche wurde beim Besuch des Papstes an der Wirkungsstätte des Reformators erfüllt. Keinerlei Entgegenkommen signalisierte Benedikt beim Verständnis des geistlichen Amtes, beim Ringen um ein gemeinsames Abendmahl oder bei dem Problem konfessionsverschiedener Eheleute, nicht gemeinsam zum Abendmahl oder zur Eucharistie gehen zu können. In aller Härte war dieser Stillstand schon am Vormittag bei der vertraulichen Begegnung zweier Delegationen rund um den Papst und den EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider deutlich geworden. Und als sollte die Öffentlichkeit diese Ergebnislosigkeit auch klar vernehmen können, sagte Benedikt in seiner Predigt während des ökumenischen Gottesdienstes in der Augustinerkirche: "Im Vorfeld des Papstbesuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte. Dazu möchte ich sagen, dass dies ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken oder aushandeln." Punkt, Feierabend. "Nichts, gar nichts ist von ihm gekommen", sagte hinterher ein Vertreter der EKD. Die peinliche Situation zu retten versuchte Präses Schneider, indem er fast während des gesamten Gottesdienstes aufrecht sitzend lächelte, während neben ihm der Papst versunken vor sich hin schaute. Ja, Schneider ging nach Benedikts Predigt sogar auf diesen zu und umarmte ihn. Was tut man nicht alles, um Einvernehmen zu demonstrieren. Nach dem Ökumenetreffen aber mahnte Schneider weitere Fortschritte im Dialog der christlichen Kirchen an. "Unser Herz brennt nach mehr. Und das war heute zu spüren", sagte er. Allerdings ist das Bild, das so entstand - die Protestanten bemühen sich, während der Papst aus Glaubensgründen extrem zurückhaltend bleibt - nicht richtig.

Gewiss, die evangelische Seite drängt, und sie drängte gerade in Erfurt. Vom Überwinden des "Eigen-Sinns" sprach Schneider und davon, dass es für alle "ein Segen" wäre, den konfessionsverschiedenen Ehepaaren "in absehbarer Zeit eine von Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen". Auch die Präses der EKD-Synode, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, sprach mit Verweis auf den anwesenden katholischen Bundespräsidenten Christian Wulff und seine erkrankte evangelische Ehefrau jene Paare an und entwarf gar das Bild der Mahlgemeinschaft: "Zum richtigen Zeitpunkt werden wir am hellsten und besten Ort des Hauses gemeinsam und füreinander den Tisch decken, an den Er uns einlädt." Der Papst wirkte demgegenüber wie ein standhafter Verteidiger des für theologisch richtig Erachteten, wie ein Vorkämpfer eines viel wichtigeren Einsatzes: "Das Notwendigste für die Ökumene", so Benedikt, "ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind." Nach dem Motto: Wir müssen das Christentum offensiv bekennen, statt Lehrmeinungen in Kompromissformeln aufzuweichen.

Bei näherer Betrachtung aber zeigt sich, dass hier keineswegs protestantische Ökumeniker einem glaubensfesten Katholiken gegenüberstanden. Vielmehr fordert auch Benedikt von den Evangelischen Aufweichungen ihrer Positionen im ökumenischen Interesse. So sagte der Papst in seiner Predigt: "Wir leben in einer Zeit, in der die Maßstäbe des Menschseins fraglich geworden sind. Ethik wird durch das Kalkül der Folgen ersetzt. Demgegenüber müssen wir als Christen die unantastbare Würde des Menschen verteidigen, von der Empfängnis bis zum Tod, in Fragen der Präimplantationsdiagnostik bis zur Sterbehilfe."

Wenn Benedikt solcherart eine gemeinsame Bioethik der christlichen Kirchen verlangte, dann forderte er von den Protestanten nicht weniger als diese von ihm beim Abendmahl: die Aufgabe einer theologischen Position. Denn bei der Sterbehilfe ist es nach dem evangelischen Verständnis möglich, dass bei Schwerstkranken in Befolgung ihrer Patientenverfügungen lebenserhaltende Maßnahmen auch außerhalb der unmittelbaren Sterbephase beendet werden. Der Papst und die katholische Kirche lehnen dies ab. Warum sollten sich danach die Protestanten richten?

Präses Schneider verglich während der Pressekonferenz die Ökumene mit einer steilen Treppe. Einige Stufen habe man bereits erklommen. "Jetzt stehen wir auf einem Treppenabsatz und müssen versuchen, das Niveau zu halten." Das ließ sich als Beschwichtigung nach dem Verpassen einer scheinbar günstigen Gelegenheit interpretieren. Man könnte es auch anders sehen: Auf protestantischer Seite wächst die bei den Katholiken schon vorhandene Einsicht, dass die Kirchen sich im Konkreten nicht weiter annähern können.

Dass die Suche nach anderen Möglichkeiten des ökumenischen Austauschs durchaus produktiv und auch notwendig ist, deuteten der Papst und Schneider selbst an. Benedikt bat die Lutherischen und Reformierten indirekt um Hilfe gegenüber den in der Dritten Welt um sich greifenden Pfingstkirchen. Schneider signalisierte im Gegenzug, dass die deutschenProtestanten sich als "westliche Kirche" und somit als Teil jener lateinischen Christenheit sähen, die auf Rom bezogen ist.

Zudem sind beide Seiten bereit, sich zum Reformationsjubiläum im Jahr 2017 neu mit Martin Luther zu beschäftigen. Dessen "Frage nach Gott", so Benedikt, "trifft mich immer neu". Schneider lud den Papst in nur geringer Verklausulierung ein, 2017 das Reformationsjubiläum mit der evangelischen Kirche zu begehen. Das Abendmahl aber wird auch dann noch jede Kirche für sich feiern.

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