Auf der Reise trifft Benedikt XVI. auf Homosexuelle, Wiederverheiratete und Reformkatholiken, die den Zölibat abschaffen wollen. Kein Heimspiel.

Berlin. Am Brandenburger Tor und am Reichstag weht die gelb-weiße Flagge des Vatikans: Papst Benedikt XVI. kommt heute zu seinem ersten Staatsbesuch nach Deutschland. Vier Tage lang besucht der deutsche Pontifex sein Heimatland - die Stationen sind Berlin, Erfurt und das Thüringer Eichsfeld sowie Freiburg. Doch zunächst gibt es eine Premiere: Als erster Papst spricht Benedikt heute im Bundestag. Überall an den Reisezielen des Kirchenoberhaupts gilt die höchste Sicherheitsstufe - wie bei einem Besuch von US-Präsident Barack Obama. Die Behörden rüsten sich für einen Einsatz von mindestens 16 000 Polizisten.

Die City der Hauptstadt gleicht einer Hochsicherheitszone. Im Regierungsviertel wurden Gullydeckel verschweißt, Absperrgitter aufgestellt und weiträumig Parkverbote verhängt. Rund um die Vatikan-Vertretung in Neukölln, wo der Papst übernachten wird, müssen Anwohner ihre Ausweise vorzeigen, wenn sie in ihre Häuser wollen. Die Polizei hat die Anwohner aufgefordert, die Fenster zu schließen und ihre Balkone zu meiden.

Lesen Sie weitere Hintergrundberichte und das Dossier

Wulffs persönlicher Wunsch an Benedikt XVI.

Fremd im Heimatland

Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland

Doch das sind nur die äußeren Umstände der Visite: In Berlin, aber auch an seinen anderen Reisestationen, trifft der in Bayern geborene Joseph Ratzinger auf Menschen zwischen Gottvertrauen und Kirchenferne. Papstkritiker machen mobil.

Pater Hans Langendörfer, der die Deutschland-Visite im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz koordiniert, sagt, Altötting sei das Heimspiel gewesen, Berlin werde ein "Arbeitsbesuch". Die Ernüchterung, die aus dieser Vokabel spricht, lässt tief blicken. Aus ihr spricht die Entfremdung, die fünf Jahre nach den heiteren Tagen während des Benedikt-Besuchs im bayerischen Wallfahrtsort Altötting zwischen dem Papst und seinen Landsleuten eingetreten ist. 86 Prozent der Deutschen finden Benedikts Staatsbesuch "unwichtig". Selbst Katholiken sprechen dem Ereignis mehrheitlich die Bedeutung ab: Jeder Dritte bezeichnet die Visite laut "Stern"-Umfrage als "eher unwichtig", jeder Vierte sogar als "überhaupt nicht wichtig". Ein Heimspiel wird es diesmal nicht.

Wegen der Rede im Bundestag sind nicht wenige der Frauen empört, die dem Parlament angehören: Während die SPD-Abgeordnete Marlies Volkmer zu Protokoll gegeben hat, sie fasse diesen Auftritt als "Versuch der Missionierung" auf, sagt ihre Fraktionskollegin Ulla Burchardt: "Ein Staatsoberhaupt, das Arbeits- und Frauenrechte und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung missachtet, sollte nicht im Bundestag sprechen." Burchardt gehört zu denen, die dem Bundestag heute demonstrativ fernbleiben wollen. Insgesamt könnten es fast 100 Abgeordnete sein.

Es werde diesem Papst "mal ganz guttun, nach Berlin zu kommen und zu spüren, was Realität ist im Jahr 2011", hat die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth gesagt. Tatsächlich wird Benedikt schon am ersten Tag auf eine in zweiter Ehe verheiratete Bundeskanzlerin treffen, auf einen Bundespräsidenten, der aus seiner ersten Ehe ausstieg, um eine andere Frau zu heiraten, und auf den offen homosexuellen Berliner Bürgermeister. Die beiden Männer sind katholisch und erwarten von ihrer Kirche, dass sie sie nicht länger ausgrenzt.

Aber danach sieht es nicht aus. Von dem, was Joseph Ratzinger einst als Chef der katholischen Glaubenskongregation dekretierte - "Nach der Lehre der Kirche kann die Achtung gegenüber homosexuellen Personen in keiner Weise zur Billigung des homosexuellen Verhaltens oder zur rechtlichen Anerkennung der homosexuellen Lebensgemeinschaften führen" - , hat er als Papst kein Jota zurückgenommen. Und den Geschiedenen, Wieder- und konfessionell gemischt Verheirateten verweigert Rom nach wie vor die Teilnahme an der Kommunion.

Dass Bundespräsident Wulff in diesem Punkt eine "befreiende Botschaft" von ihm erwartet, könnte Benedikt XVI. noch ignorieren. Aber dass ihn mit Robert Zollitsch sogar der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz zu der in Deutschland als überfällig empfundenen Reform aufgefordert hat, wird er zwangsläufig zur Kenntnis genommen haben müssen. Zumal Zollitsch vor drei Wochen mit Blick auf Wulff gesagt hat, das sei "ein Katholik, der seinen Glauben lebt und darunter leidet, wie die Situation ist". Deutlicher geht es nicht.

DIE STIMMEN DER HAMBURGER ABGEORDNETEN ZUM PAPST

Zu allem Überfluss lassen Deutschlands Reformkatholiken in Sachen Zölibat nicht locker. Im Januar schickten sie einen offenen Brief nach Freiburg, in dem sie ihre Bischöfe aufforderten, sich in Rom mit Nachdruck für die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt einzusetzen. Zu den Unterzeichnern des Papiers gehörten neben den früheren Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, Erwin Teufel und Dieter Althaus auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan und Bundestagspräsident Norbert Lammert (alle CDU). Lammert ist derjenige, der Benedikt XVI. eingeladen hat, im Bundestag zu sprechen.

Ein weiteres schwieriges Feld ist die Ökumene. Roms Erklärung, die Kirchen der Reformation seien nicht "Kirche im eigentlichen Sinn", sitzt tief bei Deutschlands Protestanten. Als die Glaubenskongregation ein Dokument mit dieser Formulierung im Sommer 2007 veröffentlichte, sprach der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, schockiert von einer ökumenischen Brüskierung: Das Dokument sei eine "unveränderte Neuauflage" der "anstößigen Äußerungen" der Instruktion "Dominus Iesus" aus dem Jahr 2000. Diese Instruktion hatte kein anderer verfasst als Kardinal Joseph Ratzinger. Hubers Nachfolger Nikolaus Schneider verspricht sich trotzdem einen Fortschritt von seiner Begegnung mit Benedikt XVI. "Wir sollten", sagt Schneider, "schon Anstöße vermitteln und Perspektiven für die weitere Richtung der Ökumene eröffnen."

Schneider wird Benedikt XVI. morgen im Erfurter Augustinerkloster treffen, in dem sich seit 500 Jahren wenig verändert hat. Sogar der Holzboden, auf dem der Reformator Martin Luther damals so oft gestanden hat, ist noch derselbe. Vielleicht liegt in der Einigung auf diesen Gesprächsort die erste ökumenische Geste, auf die Deutschlands Protestanten seit Jahren warten. In Rom heißt es, Benedikt habe persönlich in die Besuchsplanung eingegriffen, "damit die Begegnung mit den evangelischen Christen gebührenden Raum erhält".

Nikolaus Schneider und sein Kollege Robert Zollitsch glauben deshalb, dass der 23. September 2011 in die Ökumenegeschichte eingehen könnte. "Wir hoffen gemeinsam", haben die beiden deutschen Oberhirten mit Blick auf Erfurt gesagt, "dass von Gespräch und Gottesdienst wichtige Impulse für den weiteren Weg der beiden großen Kirchen in unserem Land ausgehen."

Unser Dossier zum Papst-Besuch www.abendblatt.de/papstbesuch