FDP-Generalsekretär Christian Lindner über die Euro-Krise, die schwierige Lage der schwarz-gelben Koalition und das Elend seiner Partei.

Berlin. Sein Gesicht steht für die neue FDP, deren Erfolg sich bisher allerdings in Grenzen hält. Im Abendblatt-Interview skizziert Generalsekretär Christian Lindner, wie er mit Parteichef Philipp Rösler die Liberalen aus der Krise führen will.

Hamburger Abendblatt:Am Sonntag ist Berlin-Wahl, die FDP liegt in letzten Umfragen hinter der Piratenpartei auf Platz sechs. Wundert Sie das, Herr Lindner?

Christian Lindner: Wir kämpfen bis Sonntag um unentschlossene Wähler. Die FDP ist die Kraft der wirtschaftlichen Vernunft. Nichts braucht Berlin dringender.

Landtagswahlen führten die FDP in diesem Jahr meist in die außerparlamentarische Opposition. Ihr norddeutscher Parteifreund Wolfgang Kubicki analysierte, die FDP habe als Marke "generell verschissen" ...

Lindner: Das ist sein derber Ausdruck für die Sorge um die FDP, die ich teile. Wir müssen uns fragen, warum unsere Haltung von Sozialer Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Liberalität von Bürgern geteilt wird, die uns dann aber nicht wählen.

Was hat der Wechsel von Westerwelle zu Rösler gebracht?

Lindner: Wir haben uns keine Illusionen gemacht, dass sich die Lage der FDP schon nach so kurzer Zeit verbessern würde. Wir arbeiten an unseren neuen Prioritäten ...

... die wären?

Lindner: Stabiler Euro, robuste Wirtschaft, faire Aufstiegschancen. Wir müssen den Staat gesund machen, indem wir ihn aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte befreien. Also schneller raus aus den Schulden, das ist unsere Lehre aus der Euro-Krise. SPD und Grüne haben das nicht verstanden, wenn sie die Schuldenkrise durch gemeinsame Schulden in Europa lösen wollen.

Ist es gut, dass Westerwelle Außenminister bleibt?

Lindner: Guido Westerwelle gehört zum Team. Auch eine Mehrheit der Deutschen sagt, er solle Außenminister bleiben.

Bleibt er es bis zur Bundestagswahl?

Lindner: Ja.

Wofür steht Philipp Rösler?

Lindner: Er hat diese Woche gezeigt, dass er in der Tradition von Hans-Dietrich Genscher für die europäische Integration eintritt. In Erinnerung an Otto Graf Lambsdorff müssen wir das mit wirtschaftlicher Vernunft verbinden.

Rösler hat populistische Töne angeschlagen und die Finanzmärkte in Turbulenzen gestürzt ...

Lindner: Eine Gruppe renommierter Wirtschaftsprofessoren unterstützt in einem Aufruf seine Position. Kurzfristig ist die Rücksichtnahme auf die Märkte sicher geboten. Aber langfristig fördert es Politikverdrossenheit, wenn das Vertrauen der Märkte wichtiger genommen wird als das Vertrauen der Bürger. Populismus war übrigens, dass die Gabriel-SPD sich bei der Bundestagsabstimmung über das erste Griechenland-Rettungspaket in die Büsche geschlagen hat, weil in NRW gewählt wurde.

Ist es notwendig, öffentlich über eine Pleite Griechenlands zu spekulieren?

Lindner: Wir wollen diese Situation ausdrücklich nicht. Aber Athen muss wissen, dass es weitere Nothilfe nur geben kann, wenn die vereinbarten Ziele erreicht werden. Leistung gegen Gegenleistung. Der Bundeswirtschaftsminister hat - unabhängig von Griechenland - Vorschläge gemacht, wie ein Insolvenzrecht für Staaten aussehen kann. Das wird gebraucht, damit künftig nicht nur die Steuerzahler für den Schaden aufkommen, sondern auch die Gläubiger, die von hohen Zinsen profitieren wollten. Wo also ist das Problem?

Die FDP bleibt auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin. Wollen Sie die Koalition sprengen?

Lindner: Ich sehe keine Abgrenzung zur Frau Bundeskanzlerin.

Die Kanzlerin verlangt ein Ende dieser Debatte - und die FDP setzt sie fort.

Lindner: Frau Merkel hat lediglich gesagt, jeder müsse bei seinen Äußerungen vorsichtig sein ...

... und die FDP fühlt sich nicht angesprochen?

Lindner: Verkehrsminister Ramsauer von der CSU muss gemeint gewesen sein, denn er hat die Regierungsbeschlüsse zum Europäischen Stabilitätsmechanismus infrage gestellt. Das ist rückwärtsgewandt. Die FDP will dagegen vorausdenken und den Stabilitätsmechanismus ergänzen. Dabei hat sich Philipp Rösler exakt an die Formulierungen eines Parlamentsbeschlusses vom Oktober 2010 gehalten, den die CDU mit beschlossen hat. Für das Befolgen von Bundestagsbeschlüssen sollte ein Minister nicht kritisiert werden.

An der FDP-Basis wird ein Mitgliederentscheid vorbereitet, um den neuen Rettungsschirm ESM zu verhindern ...

Lindner: Ich gehe davon aus, dass ein Mitgliederentscheid zustande kommt. Eine Regierungspartei kann aber nicht schlicht Nein sagen. Der Bundesvorstand wird deshalb für ein alternatives Papier kämpfen. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass Europa klein gegenüber Amerika oder Asien ist. Wir brauchen einen neuen europäischen Aufbruch. Deshalb sind wir für eine europäische Wirtschafts- und Finanzverfassung, die der Sozialen Marktwirtschaft entspricht. Also klare Regeln für ein Ende der Überschuldung, gesunder Ideenwettbewerb der Länder und weniger Bürokratie im Alltag.

Noch in diesem Monat wird der Bundestag über die Erweiterung des bisherigen Rettungsschirms EFSF entscheiden. Stimmt die FDP geschlossen zu?

Lindner: Jedenfalls geschlossener als die CDU/CSU-Fraktion. Bei uns gab es nur sehr wenige Skeptiker. Die von uns erreichte Zustimmungspflicht des Bundestages bei Rettungsmanövern hat viele überzeugt.

Wie wichtig ist es, dass Schwarz-Gelb die Kanzlermehrheit erreicht?

Lindner: Für dieses Gesetz reicht eine Mehrheit der Koalition.

Was muss sich ändern, damit die Koalition bis 2013 hält?

Lindner: Die Koalition ist zum Erfolg verpflichtet. Die Alternative wären dauerhaft linke Mehrheiten in Deutschland. SPD und Grüne haben die Schuldenkrise in Europa verursacht, indem sie den Euro-Stabilitätspakt gelockert haben. SPD steht für Schuldenpartei Deutschlands. Die und die Grünen dürfen nicht wieder an die Macht. Euro-Bonds würden in Deutschland alles teurer machen. Rot-Grün würde die Steuern erhöhen, damit für Italiener und Griechen die Verschuldung günstiger wird.

In der Union keimt Sehnsucht nach der Großen Koalition ...

Lindner: Da wünsche ich viel Spaß. Die SPD ist dabei, ihre erfolgreiche Agenda-Politik abzuwickeln. Erst Hartz IV, dann die Rente mit 67 - und jetzt die Rücknahme der völlig richtigen Steuersenkung von Peer Steinbrück. Der ist fachlich in seiner Partei schon isoliert, bevor er überhaupt Kanzlerkandidat ist.

Was wird aus Ihrem Versprechen, die Steuern zu senken?

Lindner: Die Menschen finden unser Steuersystem immer noch zu hoch und zu kompliziert. Mir sagen die Leute aber, dass wir uns zuerst um die Entschuldung der öffentlichen Haushalte kümmern müssen. Deshalb hat das Priorität.

Die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen ist Ihnen nicht mehr so wichtig?

Lindner: Doch, das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Aber die Entlastung darf nicht auf Kosten der Entschuldung gehen. Die Reduzierung der kalten Steuerprogression oder des Solidaritätszuschlags wird deshalb in dem Rahmen geschehen, den uns die Schuldenbremse vorgibt.

Herr Lindner, an diesem Sonnabend diskutieren Sie in Hamburg mit Parteimitgliedern über Thesen für das neue Grundsatzprogramm. Wofür steht die FDP im Kern?

Lindner: Für Verantwortung in Freiheit. Konkret macht sich das am Einsatz für eine wehrhafte Marktwirtschaft fest.

Soll heißen?

Lindner: Unsere Soziale Marktwirtschaft ist von innen und außen bedroht. Von innen, wenn Risiken auf den Steuerzahler abgewälzt und die Tugenden des ehrlichen Kaufmanns missachtet werden. Dafür brauchen wir eine neue Ordnungspolitik. Von außen ist die Soziale Marktwirtschaft durch Politiker wie Renate Künast bedroht.

Jetzt übertreiben Sie.

Lindner: Sie ist ein Beispiel für eine Haltung. Frau Künast hat behauptet, sie wisse besser als die Wirtschaft, was sie produzieren solle, und besser als die Menschen, was sie essen sollen. Das ist eine Anmaßung von Wissen. Solche Bevormundungen untergraben die freiheitliche Ordnung. Dagegen wehrt sich die FDP.