Die Berliner Verdächtigen Hani N. und Samir M. hatten große Mengen gefährlicher Chemikalien erworben. Offenbar planten sie einen Anschlag

Berlin. Schwer bewaffnet führten Elitepolizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) gestern Morgen an der Heinrich-Schlusnus-Straße in Berlin-Neukölln einen Mann ab. Berlins Polizei hat mit einem Aufgebot von 220 Mann kurz vor dem zehnten Jahrestag des 11. September 2001, der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und dem Papstbesuch Ende des Monats einen Terroranschlag in der Hauptstadt verhindert.

Ob die beiden mutmaßlichen Verdächtigen sich einen solchen Anlass ausgewählt hatten, teilten die Ermittler zunächst nicht mit. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittele wegen des Verdachts der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat, hieß es. Der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel sagte, bislang wisse man aber nichts von einem detailliert geplanten Anschlag oder einem konkreten Ziel.

In Nachrichtendienst-Kreisen werden der Deutsch-Libanese Hani N., 28, aus Neukölln und sein aus dem Gazastreifen stammender mutmaßlicher Komplize Samir M., 24, als gefährliche Islamisten eingestuft. Sie seien seit längerer Zeit im Visier und seien "gut vernetzt". Zumindest vorerst bleibt die Festnahme der Verdächtigen in Berlin ein Fall für die Hauptstadt-Behörden. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt nur bei "schwerwiegenden staatsgefährdenden Straftaten von besonderer Bedeutung". "Dafür gibt es in diesem Fall keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte", teilte die Behörde mit.

Die Pläne der beiden Beschuldigten waren durch die Aufmerksamkeit von Geschäftsleuten schon vor mehr als zwei Monaten aufgeflogen. Bei Firmen in Berlin und in Baden-Württemberg waren große Mengen von Kühlelementen beziehungsweise Schwefelsäure bestellt worden. In ersteren befindet sich Aluminiumchlorid, welches in Verbindung mit der Säure zum Bau einer Bombe taugt. Beiden Unternehmen kamen die Bestellungen verdächtig vor, sie informierten die Polizei.

Das Vorgehen der Terrorverdächtigen erinnert an das des Attentäters Anders Behring Breivik in Norwegen, der in der Hauptstadt Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete. Auch Breivik hatte für seinen Anschlag Chemikalien in großem Stil gekauft: Die 500-Kilogramm-Bombe, die er im Regierungsviertel detonieren ließ, hatte er aus Kunstdünger hergestellt.

Im Fall der Islamisten aus Berlin erkannten Staatsschutz und Staatsanwaltschaft den Ernst der Lage schnell: Die Besondere Aufbauorganisation "Regenschauer", die einer Sonderkommission ähnelt, wurde gegründet. Mobile Einsatzkommandos observierten die Verdächtigen rund um die Uhr. Dabei kam unter anderem heraus, dass sich die Männer mehrfach und auch über Nacht in den Räumen des Islamischen Kulturzentrums für religiöse Aufklärung, kurz IKRA genannt, in Berlin-Wedding aufgehalten hatten, wo mehrheitlich Arabisch und Deutsch gesprochen wird. Das IKRA hat einen Gebetsraum, der auch als "Ar-Rahman-Moschee" bekannt ist. Als sich die Beweislage verdichtete, erwirkten die Ermittler Durchsuchungsbeschlüsse für das IKRA. "Gegen den Verein selbst richten sich die Ermittlungen nicht, allerdings befinden sich in dem Kulturzentrum zahlreiche Räume, die möglicherweise auch ohne das Wissen der Betreiber als Versteck für die Utensilien dienen könnten", so ein Ermittler. Gestern schlugen die Ermittler zu: Als der 28-jährige Deutsch-Libanese Hani N. kurz vor neun Uhr auf dem Weg zu einem Amt seine Wohnung verließ, stand seine Festnahme durch das SEK bereits unmittelbar bevor.

In seine Räume in der fünften Etage in einem Haus an der Heinrich-Schlusnus-Straße sollten die Elitepolizisten nicht eindringen, weil zu befürchten stand, dass der Mann in letzter Sekunde die Bombe zünden und die Elitepolizisten mit in den Tod reißen könnte. Deshalb wurde er beschattet und in einem günstigen Moment auf der Straße überwältigt. Die SEK-Männer und Sprengstoffexperten der Berliner Polizei kehrten wenig später mit Hani N. zurück und sicherten die Räume. Zeitgleich wurde das "Go" für die Festnahme des Komplizen in dessen Wohnung an der Urbanstraße in Berlin-Kreuzberg und für die Erstürmung des IKRA gegeben.

Wenig später rückte die Polizei zum Einsatz aus. Dort drangen die Ermittler mit Rammen, schweren Vorschlaghämmern und Kuhfüßen in das IKRA ein. Mehrere dort anwesende Personen wurden überprüft und vorsorglich während dieses Prozesses mit Handschellen gefesselt. Mit dem geplanten Anschlag haben sie allerdings nichts zu tun. Am Nachmittag folgte dann die Meldung der Polizei: Zumindest die Säure zur Herstellung der Bombe wurde in der Wohnung von Hani N. entdeckt und gesichert, ohne dass Menschen zu Schaden kamen - das SEK hatte den richtigen Riecher gehabt. Die Kühlelemente blieben allerdings vorerst verschwunden.

Mit den Festnahmen und der Entdeckung der georderten Utensilien für die Bombe wurde die unmittelbare Gefahr gebannt. Doch wie auch bei den Attentätern des 11. September, der Sauerland-Zelle und den sogenannten Rucksack-Bombern stellt sich die Frage - wer sind diese Männer? Wie haben sie gelebt und warum wollten sie zu Mördern werden?

Samir M. wohnte seit etwa drei Jahren in der sechsten Etage eines Mehrfamilienhauses an der Urbanstraße in Kreuzberg. 400 Euro für 40 Quadratmeter. Der Mann wirkte im Gespräch mit männlichen Nachbarn höflich und freundlich, bei Frauen war er zurückhaltend, die Miete zahlte er stets pünktlich. Ein Nachbar berichtete, dass Samir M. ein sympathischer junger Mann sei. Er habe sich mit ihm einige Male unterhalten und hätte nie gedacht, dass er ein Terrorverdächtiger sein könnte. Häufig seien einige Männer bei ihm zu Besuch gewesen. Die Wohnung von Samir M. ist karg eingerichtet: Ein kleiner Beistelltisch steht neben einer Matratze, davor ein Fernseher. Einigen Anwohnern allerdings war Samir M. negativ aufgefallen, sie beschrieben ihn als Fundamentalisten. Erst vor drei Wochen, so ein Bekannter, habe M. Ärger mit der Polizei gehabt, weil er ein libanesisches Pärchen mit Reizgas angegriffen hatte. Es hatte ihn gestört, dass sich die beiden in der Öffentlichkeit küssten.

Auch Hani N. aus Neukölln, der laut "Bild Online" Medizin an der Humboldt-Universität studierte, scheint in seinem Glauben radikal zu sein. Eine Frau berichtete, dass er regelmäßig junge Muslime angesprochen und ermahnt habe, wenn diese beim Fußballspielen die Trikots internationaler Mannschaften trugen.

Der Berliner Verfassungsschutz schätzt die Zahl gewaltorientierter Islamisten in der Hauptstadt auf rund 450, den Palästinenserorganisationen Hisbollah und Hamas werden 300 Personen zugerechnet. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) würdigte die Festnahme der Verdächtigen als "Fahndungserfolg der Berliner Polizei".