Vier Jahre nach Gründung will die Linke ihre Politik auf eine programmatische Grundlage stellen. Entwurf enthält radikale Forderungen.

Berlin. Verstaatlichung von Banken, Abschaffung der Nato, politische Streiks: Die Linke will sich mit ihrem Parteiprogramm eine Wende zum demokratischen Sozialismus zum Ziel setzen. Eine Umgestaltung der Gesellschaft, um dem „Menschheitstraum“ von einer „besseren Welt“ näher zu kommen. Vier Jahre nach der Fusion von westdeutscher WASG und ostdeutscher Linkspartei soll das Programm im Oktober auf einem Parteitag in Erfurt beschlossen werden. Die Gründungsphase der Linken soll damit abgeschlossen werden. Die Führung will damit die konfliktgebeutelte Partei zusammenhalten und zugleich die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen. Beides könnte allerdings schwierig werden, wie die Vorsitzenden Klaus Ernst und Gesine Lötzsch einräumten.

Der Vorstand der Linken hatte den Entwurf bereits vor einer Woche mit breiter Mehrheit beschlossen. 37 Mitglieder stimmten dafür, 2 dagegen, es gab eine Enthaltung. Kurzfristig wurde ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels eingefügt. Damit reagierte die Linke auf Antisemitismus-Vorwürfe, die die Partei in den vergangenen Wochen vor eine Zerreißprobe gestellt hatten.

„Wir wollen mit diesem Programm Hoffnungen wecken“, sagte Parteichefin Gesine Lötzsch. „Wir verstehen uns als demokratische Erneuerungsbewegung, als Partei des Friedens.“ Auf 41 Seiten nennt der Entwurf radikale Vorschläge zum Umbau der Gesellschaft „Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte“, heißt es darin.

Es sei ein „Alleinstellungsmerkmal“ der Partei, dass sie sich den großen Krisen der Gegenwart stelle, sagte Ernst. Als Beispiel nannte er die „Entwertung der Arbeit“. Darauf will die Linke nicht nur mit einem allgemeinen Mindestlohn reagieren. Es sollen auch mehr Menschen arbeiten, aber jeweils weniger Stunden. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit soll gesetzlich reduziert werden: zunächst auf 40 Stunden, mittelfristig auf 35 und langfristig auf 30 Stunden – bei vollem Lohnausgleich. Das Renteneintrittsalter soll wieder bei 65 liegen. Im Programm findet sich zudem die alte Forderung: „Hartz IV muss weg“.

Weg müssen nach Ansicht der Linken auch Großbanken und -konzerne in ihrer heutigen Form. Stattdessen soll es nur noch „Sparkassen, Genossenschaftsbanken und staatliche Großbanken“ geben sowie „demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen“ für „strukturbestimmende Großbetriebe“. Angestrebt werden außerdem eine „solidarische Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege“, gebührenfreie Bildung von der Kinderkrippe bis zum Studium, eine leichtere Einbürgerung und die Bekämpfung „patriarchaler Strukturen“. Daneben sollen „weitere strukturbestimmende Bereiche“ wie die Energiewirtschaft in öffentliches Eigentum überführt werden. Reiche sollen mehr Steuern zahlen, kleine und mittlere Einkommen sollen entlastet werden.

In der Außenpolitik verlangt die Linke einen „Neustart“ der EU. Sie soll „nicht angriffsfähig“ und „frei von Massenvernichtungswaffen“ sein. Die NATO soll aufgelöst und durch ein „kollektives Sicherheitssystem“ ersetzt werden. Außerdem setzt sich die Linke für ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr, für ein Verbot von Rüstungsexporten und die Auflösung der Nato ein.

Der außenpolitische Teil ist in der Partei besonders umstritten. Auch über die „rote Linien“ für eine Regierungsbeteiligung sind auf dem Parteitag Auseinandersetzungen zu erwarten. Sie wurden aber etwas entschärft im Vergleich zum ersten Entwurf, den die früheren Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky vor gut einem Jahr vorgelegt hatten.

Änderungen von Mitgliedern möglich

Dabei wollte Lötzsch nicht ausschließen, dass auch Vorstandsmitglieder noch Änderungsvorschläge zum Entwurf einreichen werden. Sie erwarte jedoch, dass sich Mitglieder des Vorstands für die „Grundideen“ des Entwurfs einsetzen und gefundene Kompromisse verteidigen. Ernst sprach von einem „Meilenstein im Zusammenwachsen der Partei“.

Umstritten war bis zuletzt unter anderem der Passus, der das Verhältnis der Partei zu Israel beschreibt. Hier heißt es jetzt, die besondere Verantwortung Deutschlands „verpflichtet auch uns, für das Existenzrecht Israels einzutreten“.

Ernst zeigte sich überzeugt, dass die in dem Papier dargestellten Positionen von der Mehrheit der Bürger geteilt werden könnten. Die Linke stelle „die Interessen der Mehrheit“ in den Mittelpunkt. Auf die Frage, warum dann nicht eine Mehrheit die Linke wähle, sagte Ernst: „Das ist ein Problem.“ Allerdings sei auch Rom nicht an einem Tag erbaut worden. „Die Linke braucht noch ein bisschen.“

Der Parteivorstand hatte den Programmentwurf am ersten Juliwochenende verabschiedet. Bis zum 8. Oktober können Änderungsanträge eingereicht werden, zwei Woche später stimmen die Parteitagsdelegierten ab. Anschließend folgt ein Mitgliederentscheid, dessen Ergebnis Mitte Dezember vorliegen soll.

Die zentralen Inhalte des Programmentwurfs im Überblick

Wirtschaft und Arbeit : Die Linke tritt dafür ein, bedeutende Unternehmen zu vergesellschaften. Das kann zum Beispiel eine Verstaatlichung bedeuten, eine umfassende Mitbestimmung der Belegschaft oder kommunale Kontrolle. Die Bereiche Energie, Wasser, Mobilität, Wohnen, soziale Infrastruktur, Gesundheit, Bildung und Kultur sollen „öffentlich organisiert und garantiert“ werden. Künftig soll es zudem nur noch „Sparkassen, Genossenschaftsbanken und staatliche Großbanken“ geben. Außerdem verlangt die Linke „gute Arbeit für alle, aber weniger Arbeit für die Einzelnen“. Es soll einen gesetzlichen Mindestlohn geben und langfristig wird die 30-Stunden-Woche angestrebt.

Sozialstaat: „Hartz IV muss weg“, findet die Linke. Sie will stattdessen neben dem Arbeitslosengeld eine „bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung“. Es soll nur noch eine allgemeine Kranken- und Pflegeversicherung geben, in die alle entsprechend ihrer Einkünfte einzahlen. Das Renteneintrittsalter soll wieder bei 65 liegen, eine „solidarische Mindestrente“ soll Altersarmut verhindern.

Steuern: Die Linke zielt vor allem auf die stärkere Besteuerung von Gutverdienern und Wohlhabenden ab. Unter anderem plant sie eine „kräftige Anhebung“ des Spitzensteuersatzes, eine Steuer in Höhe von fünf Prozent jährlich auf „private Millionenvermögen“ und eine „deutliche Anhebung der Erbschaftssteuer auf große Vermögen“. Niedrige und mittlere Einkommen sollen zugleich geringer besteuert werden. Außerdem will die Linke das Ehegattensplitting abschaffen.

Bildung und Kultur: Bildung soll gebührenfrei sein, „von der Krippe über Ausbildung und Studium bis zur Weiterbildung“. Zudem sollen Schüler, Auszubildende und Studenten über „die Gestaltung der Bildungsprozesse“ mitentscheiden. Statt des gegliederten Schulsystems fordert die Linke eine Gemeinschaftsschule. Alle Menschen sollen „die Möglichkeit zu kulturellem Selbstausdruck und zur Teilnahme an der kulturellen Kommunikation“ haben. Zudem will die Linke ins Grundgesetz schreiben, dass der Staat die Kultur „schützt und fördert“.

Gleichberechtigung: Die Linke will die Frauenerwerbsquote erhöhen und das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchsetzen. Außerdem unterstützt sie „die gerechte Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit auf Männer und Frauen“. Abtreibung soll keine Straftat mehr sein.

Ausländerpolitik: Ausländer, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sollen das aktive und passive Wahlrecht bekommen und uneingeschränkt Jobs annehmen können. Außerdem will die Linke die Einbürgerung erleichtern und doppelte Staatsbürgerschaften wieder zulassen.

Aussenpolitik: Die EU soll Krieg ächten und „strukturell nicht angriffsfähig“ sowie „frei von Massenvernichtungswaffen“ sein. Außerdem fordert die Linke eine neue EU-Verfassung, über die alle Europäer zeitgleich abstimmen können. Es soll eine europäische Wirtschaftsregierung geben sowie eine demokratische Kontrolle der Europäischen Zentralbank. Die NATO soll aufgelöst und durch ein „kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands“ ersetzt werden. Die Linke fordert zudem „ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr“.

Mit Material von dpa/dapd