Der Zentralrat der Juden wirft der Linken Israel-Hass vor. Die Debatte um Antisemitismus belastet die Partei. Gysi beklagt zu viel Leidenschaft

Hamburg/Berlin. Anfang Juni lud die Deutsch-Palästinensische Gemeinde ein zu einer Diskussion im Curio-Haus über den Nahen Osten. Ein Vortrag dabei behandelte die "Einstaatenlösung". Als Rednerin für diesen Abend an der Rothenbaumchaussee wurde Rajaa Zoabi Omari geladen, die Mitglied der Bewegung Abna'a al-Balad ist. Die Gruppe kämpfe gegen die "zionistische Besatzung und Apartheid", heißt es in der Einladung. Unterstützt wurde die Veranstaltung auch von der Linkspartei. Der Landesvorstand der Partei distanzierte sich im Nachhinein von der Veranstaltung. Man konnte nicht davon ausgehen, dass die Unterstützung dazu führen würde, dass die Partei mit einer Position verbunden werde, die sie nicht vertrete, heißt es.

Es ist eine dieser Episoden: Die Linke, der Nahost-Konflikt, die Kritik an Israel. Der Antisemitismus. Vielleicht ist gerade die vehemente Distanzierung ein Symptom dafür, dass in anderen Fällen etliche Genossen anti-jüdische Ressentiments schüren. Die Partei bekommt das Problem des Antisemitismus jedenfalls nicht in den Griff. So könnte man der Geschichte aus Hamburg weitere, deutlich drastischere, hinzufügen. Als im März das Friedensforum in Bremen vor einem Supermarkt zum Boykott von Lebensmitteln aus Israel aufrief, verweigerte sich die Linke einer Initiative aller Parteien gegen die Aktion - trotz semantischer Nähe zur NS-Kampagne "Kauft nicht bei Juden". Im Januar 2010 blieben drei Parlamentarier am Holocaust-Gedenktag bei der Begrüßung des israelischen Präsidenten Schimon Peres im Bundestag demonstrativ sitzen. Ein Kreisverband der Linken in Duisburg veröffentlichte für kurze Zeit ein Flugblatt im Netz, auf dem ein Hakenkreuz und der Davidstern zusammenwuchsen.

Der Antisemitismus von links ist nicht neu. Doch durch einen Aufsatz zweier Wissenschaftler aus Gießen und Leipzig hatte die Debatte vor vier Wochen noch einmal an Fahrt aufgenommen. "Antisemiten als Koalitionspartner?" hieß der provokante Titel der 16 Seiten langen Publikation. Der "antizionistische Antisemitismus" sei in der Linken inzwischen zu einer "weitgehend konsensfähigen Position" geworden, heißt es. Als Antizionisten werden Gegner eines jüdischen Staates in Palästina bezeichnet.

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hat nun mit scharfen Worten Teilen der Linkspartei Antisemitismus und "blindwütigen Israel-Hass" vorgeworfen. "Der alte antizionistische Geist der DDR spukt noch in der Partei", schrieb Zentralratspräsident Dieter Graumann in der "Süddeutschen Zeitung". Paradoxerweise seien es heute vor allem Vertreter aus dem Westen, die ihren geradezu pathologischen, blindwütigen Israel-Hass auslebten. Leider würden genau "diese Betonköpfe" die Zuständigkeit für die Israel-Politik in der Linken beanspruchen. Zwar gebe es einige Spitzenpolitiker wie Fraktionschef Gregor Gysi, die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping und die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau, die die Partei "aus dem Kerker des Israel-Hasses" befreien wollten. "Aber der große Befreiungsschlag ist einstweilen spektakulär missglückt."

Parteichefin Gesine Lötzsch wies die Kritik zurück: "Es gibt in der Partei Die Linke keinen blindwütigen Israel-Hass", sagte sie in Berlin. Sie verwies auf einen Beschluss vom 6. Juni, in dem sich der Parteivorstand klar von antisemitischen Tendenzen distanziert habe. "Die Abgeordneten der Fraktion Die Linke werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen", heißt es dort. Man werde sich nicht mehr an Boykott-Aufrufen israelischer Waren beteiligen, man werde keine Ein-Staaten-Lösung in Nahost fordern.

Einige Mitglieder der Linken beklagen längst, dass die Partei ein "Antisemitismusproblem" hat. Fast einstimmig beschloss die Linksfraktion die Erklärung - dreieinhalb Stunden wurde debattiert, ein Teil der 76 Abgeordneten verließ aus Protest gegen den Beschluss den Raum. Es dauerte nicht lange, bis der radikale Flügel der Linken gegen den "Maulkorberlass" protestierte. Die Abgeordnete Annette Groth bezeichnete das Vorgehen als "undemokratisch" und "gefährlich". Im Fokus ihrer Kritik steht Fraktionschef Gregor Gysi. Viele seien mit der Erklärung nicht einverstanden gewesen. Es sei "großer psychologischer Druck" ausgeübt worden.

Israel-Kritiker und Israel-Freunde, Realos und Fundis der Linkspartei streiten um die Hoheit über die Worte - und die Grenzen von Israel-Kritik und offenem Antisemitismus. Der Fraktionsvorsitzende Gysi steckt mittendrin. Der Konflikt verläuft vor allem entlang Gysis alter PDS im Osten sowie radikaleren Kräften, die meist aus den westdeutschen Verbänden stammen. Doch eine klare Kampfansage gegen Antisemitismus lässt Gysi vermissen. Immer wieder betont er in Interviews, dass es keinen Antisemitismus in der Linkspartei gebe - und spricht von "zu viel Leidenschaft bei der Kritik an Israel" in den Reihen der Partei.

Seit Langem kämpft Gysi gegen anti-israelische Tendenzen in der Partei. Er selbst hat jüdische Vorfahren. Doch der Fraktionschef, so sieht es aus, gibt nach. Nach der offenen Kritik gegen den Beschluss der Partei von Anfang Juni kündigte er einen zweiten Beschluss an, der sich "gegen die inflationäre Verwendung des Begriffs Antisemitismus" wenden und kritisch mit einer einseitigen Zustimmung zur Regierungspolitik in Israel auseinandersetzen" solle. Auch die Haltung des parteiinternen Bundesarbeitskreises Shalom zur Frage der Siedlungspolitik werde diskutiert.