Sie vereinbaren Milliardenverträge, bleiben aber auf Distanz. Abseits der Wirtschaftsthemen waren einige Differenzen nicht zu überhören.

Berlin. Regierungskonsultationen sind eine diplomatische Massenveranstaltung. Chinas Premier Wen Jiabao war mit einer 300-köpfigen Delegation in Berlin eingetroffen. Von deutscher Seite nahmen zehn Ressortchefs mit ihren Mitarbeiterstäben an den Gesprächen teil. Um das Treffen nicht auf eine Unterzeichnungsorgie vorab ausgehandelter Abkommen zu reduzieren, war das Protokoll gefordert: Es galt Orte der Begegnung zu finden, so hieß es in Kreisen der Bundesregierung, die nicht Orte sind, an denen man sich normalerweise trifft. Eine besondere Note sei wünschenswert.

Als Angela Merkel im Juli vorigen Jahres in Peking weilte, haben die Chinesen vorgemacht, wie das geht. Die Bundeskanzlerin durfte die Parteihochschule der Kommunisten besuchen, was für den Vertreter einer westlichen Demokratie als außergewöhnliche Ehre gilt. Die Deutschen nun hatten sich dafür entschieden, den chinesischen Ministerpräsidenten in der ehemaligen Sommervilla des Malers Max Liebermann zu einem Abendessen im kleinsten Kreis zu empfangen. Das Haus direkt am Berliner Wannsee verfügt über einen prächtig gestalteten Park. Da die Kunst des Gartenbaus eine chinesische Tradition ist, sollte damit eine für den Gast aus Peking interessante, informelle Atmosphäre geschaffen werden, die "dann auch etwas in die Inhalte der Gespräche überspringen kann", so die Hoffnung der Protokollbeamten. Glaubt man der Kanzlerin, ist das gelungen. "Mit diesem Besuch wird ein neues Kapitel aufgeschlagen in den deutsch-chinesischen Beziehungen", sagte Merkel gestern zum Abschluss der Konsultationen. Das Verhältnis beider Länder sei ausgesprochen eng und intensiv: "Man kann sagen, dass wir ein vielfaches Band an Beziehungen aufgebaut haben." Zwischen Berlin und Peking sei Vertrauen gewachsen, darauf lasse sich aufbauen. Wen Jiabao nannte die Bundesrepublik einen "strategischen Partner", die guten Beziehungen kämen "der ganzen Welt zugute".

Festmachen lassen sich diese hehren Worte vor allem an mehreren Wirtschaftsabkommen im Wert von über zehn Milliarden Euro. Der Handel zwischen der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und der größten Volkswirtschaft Europas sei einer der wichtigsten Pfeiler der "breiten Brücke" zwischen China und Deutschland, sagte Merkel. Schon jetzt ist die Volksrepublik für deutsche Unternehmen der fünftwichtigste Exportmarkt weltweit, das Handelsvolumen betrug im Jahr 2010 rund 130 Milliarden Euro. In den nächsten fünf Jahren soll es auf 200 Milliarden Euro steigen. Vier am Rande der Regierungskonsultationen unterzeichnete Verträge werden dazu beitragen: So heimste Airbus einen Milliardenauftrag ein, Peking kauft der Firma 88 Flugzeuge vom Typ A320 im Wert von 5,2 Milliarden Euro ab. Volkswagen vereinbarte mit seinem chinesischen Partner FAW den Bau einer neuen Autofabrik. Und auch Daimler und Siemens schlossen mehrere Investitionsprojekte ab.

Die Ressortminister unterschrieben 14 bilaterale Verträge. Dazu gehören Vereinbarungen über China als Partnerland der Hannover Messe 2012 und zur Erleichterung gegenseitiger Investitionen. Beide Seiten vereinbarten einen engeren Austausch in den Bereichen Forschung und Wissenschaft, Justiz, Klimaschutz und erneuerbare Energien. Erfreut nahm die deutsche Seite auch die Ankündigung Wens auf, Staatsanleihen in Schwierigkeiten steckender Euro-Länder aufzukaufen: "Wenn Europa Schwierigkeiten hat, dann strecken wir die helfende Hand aus."

Das sind zweifellos "neue Impulse" für die Partnerschaft, wie Wen es ausdrückte. Aber dennoch bleiben die Chinesen sehr spezielle Freunde. Denn sobald die Beratungen über die in beiderseitigem Interesse liegenden Wirtschaftsbeziehungen hinausgingen, waren Meinungsunterschiede nicht zu überhören. Zum Beispiel bei den Menschenrechten. Sowohl Merkel als auch Außenminister Guido Westerwelle mahnten eine faire Justiz an und forderten insbesondere im Fall des chinesischen Künstlers Ai Weiwei ein "transparentes Verfahren". Ferner müssten ausländische Journalisten bessere Arbeitsmöglichkeiten erhalten.

Die chinesische Reaktion lässt sich am gemeinsamen Frühstück Westerwelles mit seinem Kollegen Yang Jiechi ablesen. Insgesamt sei das Treffen "sehr freundschaftlich und konstruktiv" verlaufen, war zu erfahren. Doch als der Deutsche zu den Menschenrechten überleitete, sei die Atmosphäre "eher ernst" geworden. Wen formulierte das so: "In manchen Fragen sind wir nicht immer der gleichen Auffassung." Es gebe Unterschiede in der Geschichte, der Kultur und des politischen Systems. Beide Seiten sollten in ihren Beziehungen eher nach Gemeinsamkeiten suchen als nach Unterschieden: "Nur wenn es Vertrauen gibt, kann man Probleme überwinden und die Zusammenarbeit vertiefen."