Deutschland kann auf den Handel mit China nicht verzichten

Die Volksrepublik China ist ein politologisches Phänomen: Auf einem rüden raubkapitalistischen Wirtschaftsalltag sitzt ein altstalinistischer Überbau. Funktionieren kann dies überhaupt nur mithilfe von Repression und Despotie. Möglicherweise verfügt China mit rund 500 Milliardären - Deutschland hat knapp 60 - inzwischen bereits über mehr Superreiche als die USA. Ihnen stehen 250 Millionen mittel- und weitgehend rechtlose Wanderarbeiter gegenüber, deren Verzweiflung erheblichen sozialen Sprengsatz birgt.

Die Pekinger Führung weiß um diese Gefahr, sie weiß ebenso um die bedenkliche demografische Entwicklung, die Chinas Zukunft viel weniger Arbeiter und viel mehr Rentner bescheren wird. Wenn das Reich seine Mitte nicht verlieren und nicht eines Tages implodieren will, muss es die Umwandlung von explosivem Export und Auslandsinvestitionen auf ein binnenorientiertes Wirtschaftsmodell schaffen, das allen 1,3 Milliarden Chinesen zugutekommt.

Doch derzeit wird China noch von einer auch nationalistisch befeuerten Expansionswut getrieben, die stark mit der jahrhundertelangen Demütigung durch den Westen zusammenhängt. Die sich häufenden Vorwürfe aggressiver Spionage und unfairer Geschäftspraktiken, bei denen China westliche Technologie abschöpft, dürften kaum alle aus der Luft gegriffen sein. Peking ist nahezu jedes Mittel recht, um den begehrten Supermachtstatus zu erlangen. Nicht nur die Investition in westliche Schlüsseltechnologien, sondern auch der Erwerb und Besitz europäischer Staatsanleihen eignen sich bei Bedarf zum machtpolitischen Hebel.

Der deutsche Kurs gleicht einem Paartanz auf der Rasierklinge. Exportvizeweltmeister Deutschland kann es sich nicht leisten, auf den Handel mit Exportweltmeister China zu verzichten. Ein erfolgreicher Gipfel wie jener in Berlin dient uns allen. Gerade angesichts seiner Vergangenheit kann es sich Deutschland aber auch nicht leisten, die Achtung der Menschenrechte in China nicht anzumahnen. Schließlich legt man sich mit einem Partner ins Bett, der zugleich Weltmeister im Hinrichten ist und Kritiker wie Ai Weiwei oder den Nobelpreisträger Liu Xiaobo nach Belieben entführen und einkerkern kann. Die deutsche Rechtskultur mit dem Schutz des Individuums ist mit der chinesischen nicht kompatibel. Kritik ist notwendig, doch letztlich wird sich der Koloss China eher aufgrund der Widersprüche und Mängel im eigenen System zu einer offenen Zivilgesellschaft wandeln müssen.