„Wenn man nicht mehr Mittel zur Verfügung stellt, muss man fragen: Was kommt auf die Warteliste?“ Gesundheitsminister Bahr lehnt Debatte ab.

Hamburg/Kiel. Die deutschen Ärzte führen eine heftige Diskussion um Ranglisten für Behandlungen und die Finanzen im Gesundheitssystem. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg Dietrich Hoppe, hat zum Abschied vom Amt seine Idee einer "Priorisierung" für medizinische Leistungen erneuert. Hoppe sagte, heimlich würden den Patienten aus Kostengründen bereits Behandlungen oder Therapien vorenthalten. Deshalb müsse man in der Politik überlegen, welche Arztleistung in der Krankenversicherung "um jeden Preis und immer und sofort bezahlt werden muss".

Für diesen Vorstoß erhält Ärztekammer-Chef Hoppe in Hamburg Unterstützung. "Das Problem ist, dass man den teuren medizinischen Fortschritt und die alternde Gesellschaft zusammenbringen muss", sagte Michael Späth, Vorsitzender der Ärzte in der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KV). Den Ärzten werde ein Budget verpasst, das nur gering steige. "Wenn man nicht mehr Mittel zur Verfügung stellt", so Späth zum Abendblatt, "muss man fragen: Was kommt auf die Warteliste?" Das müsse die Politik entscheiden.

Der neue Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) lehnt eine solche Ranglistenmedizin ab. Das Gesundheitswesen müsse so stabil finanziert werden, dass diese Debatten unnötig werden, sagte Bahr beim 114. Ärztetag in Kiel. Der Hamburger Arzt Späth sagte, Bahr sei klug und stehe im Leben. Aber: "Er kann keine Grundsatzentscheidungen über die Finanzierung des Gesundheitswesens treffen."

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Deutschlands größte gesetzliche Krankenkasse, die Barmer GEK, lehnt die Priorisierung ab. "Das würde zu einer unethischen Schacherei zulasten der Patientinnen und Patienten führen", sagte Rolf-Ulrich Schlenker, Vizechef der Barmer GEK. "Statt Geisterdebatten um Ranglistenmedizin brauchen wir Ideen und Konzepte, die die Versorgung besser und effizienter machen", so Schlenker. Die Ärzte könnten nicht glauben, "dass sich ein gesellschaftlicher Konsens darüber herstellen lasse, ob multiple Sklerose behandlungsbedürftiger sei als Krebs oder ein Magendurchbruch".

Auch die Hamburger Hausärztin Silke Lüder, ebenfalls Vertreterin in der KV, sieht die Ranglisten skeptisch: "Wer soll sagen, dieses ist sinnvoll und muss zuerst behandelt werden und das nicht?" Auch Lüder sieht noch Einsparmöglichkeiten im Gesundheitswesen. Zuerst solle man wegen der Sicherheitslücken die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte stoppen. Das sei eine riesige Geldverschwendung.

Wenn der Ärztetag die Nachfolge von Hoppe bestimmt hat, für die auch der Hamburger Radiologe Frank Ulrich Montgomery, 59, kandidiert, soll die Gesundheitskarte am Freitag das Thema beim Ärztetag sein. Die Krankenkassen werden unter Androhung von Strafen gezwungen, die neue Versichertenkarte mit Foto flächendeckend noch in diesem Jahr einzuführen.