Die Ethikkommission diskutiert über die Zukunft der Energieversorgung. E.on-Chef warnt vor zu raschem Abschalten von Kernkraftwerken.

Hamburg. Die Zeit drängt: Bereits am 28. Mai will die von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission ihre Empfehlungen für den künftigen Umgang mit der Atomkraft aussprechen. Mit der Expertenbefragung, die live im Fernsehen übertragen wurde, läutete das 17-köpfige Gremium gestern die heiße Phase der Beratungen ein. Doch die Aussagen der eingeladenen 30 Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden ließen noch kein vorherrschendes Meinungsbild erkennen. "Es gibt keine einfachen Antworten", hatte einer der beiden Kommissionsvorsitzenden, Matthias Kleiner, zu Beginn des Sitzungsmarathons quasi als Motto der Gespräche ausgegeben. Kleiner, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist, forderte von den Diskussionsteilnehmern aber auch eine "Vielfalt der Ideen" statt einen "Wettbewerb der Bedenken".

Doch seine Bedenken wollte der Chef des Energieriesen E.on, Johannes Teyssen, nicht ausklammern. Er warnte in der Sitzung vor einem raschen Abschalten der Atomkraftwerke. Nur mit der Atomkraft als Brückentechnologie könne auf neue Kohle- und Gaskraftwerke oder den Import von fossilem Strom oder Atomstrom verzichtet werden, sagte Teyssen. Der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energiekonzerns betonte: "Die Brücke kann man nicht beliebig kürzer und schmaler machen." Der Chef des Aluminiumproduzenten Trimet, Heinz-Peter Schlüter, warnte vor Gefahren für die stromintensiven Betriebe durch ein übereiltes Abschalten. Trimet betreibt unter anderem ein Werk in Finkenwerder. Laut Schlüter hat bereits die Abschaltung der sieben ältesten Reaktoren durch höhere Preise für Strom Ergebnisbelastungen verursacht. Sein Unternehmen stehe vor 40 Mio. Euro Ergebnisverlust, so Schlüter. "So viel haben wir noch nie verdient."

Der Klimaexperte des Öko-Instituts in Berlin, Felix Matthes, hält dagegen einen raschen Atomausstieg für möglich. "Der kurz- und langfristige Verzicht auf Kernenergie ist handhabbar", sagte er bei der Expertenanhörung. Negative Auswirkungen auf das Klima seien nicht zu befürchten. Mögliche Kostensteigerungen seien überschaubar. Stephan Kohler von der Deutschen Energie-Agentur sagte, bis 2020 könnte der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung durch Ausbau der Speichertechnologien von heute rund 22 auf 40 Prozent steigen.

Die öffentliche Premierensitzung der Ethikkommission stieß bei SPD und Grünen auf Vorbehalte. Grünen-Fraktionsvizin Bärbel Höhn warnte im Abendblatt davor, dem Gremium eine zu große Bedeutung beizumessen: "Politisch ist die Ethikkommission eher ein Nebenschauplatz. Über den Atomausstieg wird nicht in der Ethikkommission entscheiden, sondern im Kanzleramt und in den Regierungsfraktionen. Da tobt hinter den Kulissen gerade ein Machtkampf zwischen alten Atomfreunden und neuen Ausstiegsbefürwortern." Lobende Worte fand die Grünen-Politikerin für die erstmalige TV-Ausstrahlung der Sitzung: "Die live übertragenen Sitzungen der Ethikkommission verstärken die öffentliche Diskussion über die Risiken der Atomkraft und die Chancen einer schnellen Energiewende. Das ist positiv."

"Ich bin mir sicher, dass die Kommission unter Leitung von Klaus Töpfer sehr engagiert ihre Arbeit macht", sagte der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), dem Abendblatt. "Aber es ist offenkundig, dass Frau Merkel diese Kommission vor allem eingesetzt hat, um Zeit zu gewinnen und um nicht selbst ihre 180-Grad-Wende in der Atompolitik begründen zu müssen." Merkel lenke davon ab, dass die Regierung mit der Laufzeitverlängerung einen schweren Fehler begangen habe und Union und FDP in dieser Frage zerrissen seien. Sellering forderte, auch die Bundesländer an der Entscheidung über die Energiewende zu beteiligen. "Und da ist für mich völlig klar: Eine Zustimmung der SPD wird es nur geben, wenn wir den Umstieg von der Atomkraft auf die erneuerbaren Energien deutlich beschleunigen." Dazu gehöre, dass die jetzt stillgelegten Kraftwerke wie Brunsbüttel und Krümmel nicht wieder ans Netz gingen. Die Regierung will sich auf Basis des Kommissionsvotums ein eigenes Bild machen und Anfang Juni entscheiden.