Vor dem Treffen im Kanzleramt fordern norddeutsche Politiker von der Bundesregierung einen schnellen Atomausstieg. Fördermittel benötigt.

Hamburg. Die Bundesregierung gerät immer stärker unter Druck, eine scharfe Wende in der Energiepolitik zu vollziehen. "Es ist höchste Zeit, dass die Kanzlerin endlich mit allen Ministerpräsidenten spricht", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) dem Hamburger Abendblatt. Angesichts des heute angesetzten Energiegipfels im Bundeskanzleramt forderte Sellering: "Ich erwarte, dass Frau Merkel klare Vorschläge macht, wie wir den Umstieg von der Atomkraft auf die erneuerbaren Energien beschleunigen."

Die norddeutschen Länder hätten bei der Energiewende eine gemeinsame Position. "Wir können als Küstenländer vor allem Strom aus Windkraft zur künftigen Energieversorgung beisteuern", betonte der Ministerpräsident. "Dazu brauchen wir den beschleunigten Ausbau der Stromnetze, um den hier erzeugten Strom nach West- und Süddeutschland abtransportieren zu können."

Bei dem Treffen in Berlin will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen mit den Ministerpräsidenten der 16 Länder beraten, wie sich der Atomausstieg und die damit verbundene Energiewende beschleunigen lässt. Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) werden an den Beratungen teilnehmen.

Der Bremer Oberbürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) sagte dem Abendblatt, auf dem Gipfel müsse sich zeigen, "dass wir alle, Bundesregierung und Bundesländer, gemeinsam den Umstieg auf die erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus der Kernenergie wollen". Bremen sei von Atomkraftwerken geradezu umzingelt und wolle deshalb den Atomausstieg so schnell wie möglich. "Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie klarmacht, dass es ihr mit der Energiewende ernst ist und dass sie dazu auch bereit ist, Fördermittel insbesondere auch für die Offshore-Windenergie zur Verfügung zu stellen", ergänzte Böhrnsen. "Das von ihr verkündete Moratorium darf kein Spiel auf Zeit sein." Mit dem AKW Unterweser in Esenshamm stehe eines der ältesten deutschen Kernkraftwerke direkt vor den Toren der Stadt, das dauerhaft vom Netz bleiben müsse. "Sollte es nach dem Moratorium wieder angefahren werden, werden wir dagegen alle politischen Möglichkeiten ergreifen", kündigte Böhrnsen an. Man prüfe zurzeit, ob man gegen die Wiederaufnahme des Betriebes in Esenshamm Rechtsmittel einlegen könnte.

Auch Böhrnsens Hamburger Amtskollege Olaf Scholz (SPD) hatte bekräftigt, dass er ein Ende der Kernkraftnutzung wolle. Mit Blick auf den Energiegipfel sagte Scholz: "Wir müssen den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft zustande bringen." Außerdem bringe Hamburg ein Gesetz mit ein, damit stillgelegte Atomkraftwerke wie Krümmel oder Brunsbüttel nie wieder ans Netz gehen. Zurückhaltender äußerte sich der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) mit Blick auf das Treffen der Länderchefs. "Ich erwarte unter anderem eine Antwort auf die Frage, was neben dem Sicherheitscheck zeitlich während des Moratoriums erreicht werden kann." Es müssten zudem noch konzeptionelle Fragen beantwortet werden, um bei der Energiewende langfristig Versorgungssicherheit zu vertretbaren Preisen zu erreichen.

In einem "energie- und klimapolitischen Appell an die Bundesregierung" sprechen sich 90 deutsche Kirchen, Umwelt- und Entwicklungsverbände gegen die weitere Nutzung der Kernkraft aus. Die Unterzeichner fordern einen schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien, den Verzicht auf den Bau neuer Kohlekraftwerke und ehrgeizigere Ziele bei der Energieeffizienz. Mitunterzeichner des Appells sind unter anderem die Nordelbische Kirche, Brot für die Welt und Greenpeace. Dagegen plädiert Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) dafür, über die Zukunft der vom Atom-Moratorium betroffenen Kernkraftwerke erst nach dem Moratorium zu entscheiden. "Wir nutzen jetzt die Zeit intensiv für eingehende Analysen", sagte er der "Leipziger Volkszeitung". "Auf Grundlage der Analysen werden wir dann die energiepolitischen Entscheidungen treffen." Brüderle sagte, dass er als Wirtschaftsminister beim Umstieg auf erneuerbare Energien auf die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland achten werde. "Wenn wir schneller zu den Erneuerbaren kommen wollen, sind die erforderlichen Investitionen nicht zum Nulltarif zu haben."

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte unterdessen der "Welt": "Wer Steuereinnahmen vermindert - etwa bei der Brennelementesteuer -, muss mir sagen, wie wir die dadurch entstehenden Lücken füllen beziehungsweise die Schuldenbremse einhalten wollen."