Kritik an deutscher Justiz - Gerichtshof gibt einem Sexualstraftäter Recht, der sich zu lange in Sicherheitsverwahrung befand.

Bruchsal/Straßburg/Berlin. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die deutsche Praxis der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung abermals verurteilt. Nach dem Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ gab der Gerichtshof einem 58-jährigen Sexualstraftäter Recht – wie bereits in ähnlich gelagerten Fällen. Der Vorbestrafte war 2009 aus der Sicherungsverwahrung in Bruchsal (Kreis Karlsruhe) entlassen worden, sieben Jahre nach Ablauf der zur Tatzeit zulässigen Höchstdauer von zehn Jahren. Die Sicherungsverwahrung des Klägers war 2002 nachträglich auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Der EGMR sprach dem Mann ein Schmerzensgeld von über 27.000 Euro für das erlittene Unrecht zu. Eine Berufung kann beantragt werden. In Straßburg sind noch eine Reihe ähnlicher sogenannter „Altfälle“ anhängig. Mit diesem Urteil wächst der Druck auf die deutsche Justiz, dieses in Rechtskreisen umstrittene Problem aus der Welt zu schaffen. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich zur Zeit damit, ist aber noch zu keinem abschließenden Urteil gekommen.

Der heute 58 Jahre alte Kläger war wiederholt wegen Vergewaltigung junger Frauen verurteilt worden und verbrachte seit 1976 die meiste Zeit hinter Gittern. Im Mai 1990 verhängte das Landgericht Heilbronn gegen Richard J. erneut eine dreijährige Freiheitsstrafe. Das Gericht ordnete zugleich eine Sicherungsverwahrung an, deren Dauer damals auf zehn Jahre beschränkt war.

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Nach Angaben eines Gerichtssprechers handelt es sich um den letzten zur Entscheidung anstehenden Fall nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von Ende 2009. Danach ist nur bei höchst gefährlichen Verurteilten nach Ablauf von zehn Jahren eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung gerechtfertigt. Das Berliner Landgericht hat die Sicherungsverwahrung für einen 42-jährigen Straftäter zur Bewährung ausgesetzt. Zugleich wurde Führungsaufsicht für fünf Jahre mit einer Vielzahl von Weisungen angeordnet, wie ein Gerichtssprecher am Donnerstag mitteilte. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der Mann war 1999 wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Außerdem wurde Sicherungsverwahrung angeordnet.

Im vorliegenden Fall ging das Gericht den Angaben zufolge davon aus, dass die Gefährlichkeit während des Vollzuges so weit verringert werden konnte, dass seine Entlassung zur Bewährung erfolgen musste. Ausschlaggebend seien dafür unter anderem die therapeutischen Bemühungen des Straftäters und seine positiven Änderungen im Verhalten gewesen.

Insgesamt wurde bisher nach Justizangaben über zehn Fälle von Sicherungsverwahrung entschieden. Drei Täter sollen wegen besonderer Gefährlichkeit weiterhin untergebracht bleiben. Sie hätten aber Beschwerde eingelegt. Zwei seien unter Auflagen in Freiheit, ein Täter blieb bis zu einer anderen Unterbringung zunächst freiwillig. Die anderen sollen auf freien Fuß kommen, wobei die Urteile aber noch nicht rechtskräftig sind.

(Mit Material von dapd/dpa/afp)