Die Auseinandersetzung um Inhalte, fordert die Bundesjustizministerin im Interview mit dem Abendblatt, soll in der FDP wieder gepflegt werden.

Berlin. Eine Weile galt sie als mögliche Nachfolgerin von Guido Westerwelle. Jetzt kann sie sich vorstellen, Stellvertreterin des neuen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler zu werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt im Abendblatt-Interview, wie die Liberalen ihre Existenzkrise überwinden können.

Hamburger Abendblatt: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, warum rückt Philipp Rösler an die Spitze der FDP - und nicht Sie?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Philipp Rösler ist der Hoffnungsträger der FDP und steht für einen Generationswechsel. Zusammen mit Christian Lindner bildet er ein tolles Team, das von Jungen und Erfahrenen ergänzt werden wird.

Bewerben Sie sich auf dem Parteitag in Rostock als Stellvertreterin?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich werde mit dem Kandidaten für den Parteivorsitz in Ruhe darüber sprechen, wie er sich das künftige Team vorstellt.

Und wenn er sich eine Stellvertreterin Leutheusser-Schnarrenberger vorstellt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich schließe eine Kandidatur nicht aus.

Ist Rösler der natürliche Westerwelle-Nachfolger?

Leutheusser-Schnarrenberger: Philipp Rösler steht schon lange in der ersten Reihe der nachrückenden Generation. Er ist eine ganz andere Persönlichkeit als Guido Westerwelle. Er steht für einen Liberalismus, der gerade auch Familie, Soziales, Solidarität und Gerechtigkeit in den Blick nimmt. Er kann der FDP ein gutes Profil geben.

Wie stark ist ein Parteivorsitzender, der die Gesundheitspolitik verantworten muss?

Leutheusser-Schnarrenberger: Er ist viel mehr als nur Gesundheitsminister. Als Vizekanzler wird er die gesamte Innenpolitik beeinflussen - von Wirtschaft über Bürgerrechte bis Bildung. Es ist für ihn kein Nachteil, dass er ein schwieriges Ressort vertritt.

Mit seinen Vorstellungen zur Gesundheitsreform konnte sich Rösler in der Koalition nicht durchsetzen. Warum sollte das plötzlich anders werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: In der Gesundheitspolitik hat die CDU/CSU einen Kursschwenk vollzogen. Der ganz große Wurf ist mit Volksparteien nicht zu machen. Dafür kann die FDP nichts.

Ist es möglich, dass der Parteichef später das Ressort wechselt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sollten jetzt aufhören, über Ministerposten und andere Personalien öffentlich zu diskutieren. Dis FDP ist in einer Existenzkrise. Da erwarten die Bürger, dass Inhalte im Vordergrund stehen und nicht eine Personaldebatte die andere ablöst.

Heißt das, die Wahlverlierer Homburger und Brüderle können weitermachen, als sei nichts geschehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin die öffentlichen Spekulationen leid. Die schaden uns.

Rösler wird es schwerfallen, die Westerwelle-FDP zu prägen ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Philipp Rösler wird seine Akzente setzen - natürlich im Diskurs mit der Partei. Wir wollen diskursfreudiger werden und leidenschaftlich um Inhalte streiten. Ein großes Thema könnte eine weitere Föderalismusreform werden. Die Zuständigkeiten von Bund und Ländern in der Bildung müssen neu geregelt werden. Außerdem ist es eine Riesenchance für die FDP, die Wende in der Energiepolitik rational zu gestalten.

Folgen die Liberalen dem grünen Zeitgeist?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP folgt weder Rot noch Grün noch anderen. Liberale werden in der Energiepolitik glaubwürdig untermauern, wie der neue Kurs aussieht. Wir müssen zu kürzeren Laufzeiten kommen, als sie im Atomgesetz stehen. Aber wir müssen gleichzeitig Versorgungssicherheit und Strompreisentwicklung sehen. Es wäre ja widersinnig, unsere eigenen Kraftwerke abzuschalten und Atomstrom aus anderen Ländern zu beziehen. Wir werden ein klares Bild zeichnen, was auf die Bürger zukommt. Das tun andere Parteien nicht.

Wie wichtig bleiben Steuersenkungen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ein wichtiges Thema für die FDP ist vor allem die Steuervereinfachung. Steuersenkungen sind nicht vom Tisch. Aber die Haushaltskonsolidierung ist mindestens ebenso wichtig. Da geht es um Generationengerechtigkeit.

Einen Steuersenkungswahlkampf wird es also nicht mehr geben.

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann nicht voraussagen, welche Themen wir 2013 im Bundestagswahlkampf haben werden. Es macht jedenfalls keinen Sinn, Steuersenkungen zu fordern, solange die Chancen schlecht sind, sie auch durchzusetzen. Das kostet nur Glaubwürdigkeit. Wir müssen unsere Themen so formulieren, dass sie eine Vision aufzeigen, aber in der Regierung auch umsetzbar sind.

Hält die FDP an den Steuergeschenken für Hoteliers fest?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Hotelsteuer ist nicht gut angekommen - auch wenn sie zu Investitionen und Arbeitsplätzen in der Gastronomie geführt hat. Das Thema gehört in die Mehrwertsteuerreform hinein, die wir noch in dieser Wahlperiode in Angriff nehmen müssen.

Fast 15 Prozent bei der letzten Bundestagswahl 2009, jetzt nur noch drei Prozent in den jüngsten Umfragen. Was ist drin für die Liberalen bei den nächsten Wahlen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht um das Überleben der FDP. Die vor uns liegenden Wahlen in Bremen und Berlin werden schwierig. Wir müssen die Chancen, die sich mit einem neuen, sympathischen Vorsitzenden bieten, wirklich nutzen.

Welches Ziel formulieren Sie für die nächste Bundestagswahl?

Leutheusser-Schnarrenberger: 2013 werden wir wieder voll kampagnenfähig sein. Wir dürfen auf keinen Fall ehrgeizige Ziele aufgeben und sollten bei der nächsten Bundestagswahl um ein zweistelliges Ergebnis kämpfen.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, hat es in den vergangenen Tagen einen Augenblick gegeben, in dem Sie Mitleid für Guido Westerwelle empfunden haben?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann gut nachvollziehen, wie schwierig ein Rückzug von einem politischen Amt ist und welche Emotionen mit einem solchen Schritt verbunden sind.