Gäbe es in Deutschland eine Katastrophe, würden nicht alle gewarnt. Alarmsirenen sind abgebaut. Umstieg auf neue Technik verpasst?

Osnabrück/Berlin. Ob die Bevölkerung und die ganze Welt derzeit von der japanischen Regierung mit allen nötigen Informationen versorgt werden, ist fraglich. Fest steht jedoch, dass ein Alarmsystem die Bevölkerung in Japan zumindest über die Gefahr informiert. In Deutschland gibt es eine solche Möglichkeit nicht. Die Polizei prangert dies an und stellt auch dar, wie anfällig deutsche Kraftwerke für Angriffe von außen sind.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) macht beim Katastrophenschutz in Deutschland gravierende Mängel aus. „Wir haben kein effektives Alarmsystem, um die Bevölkerung etwa nach einem Atom-GAU schnell flächendeckend zu informieren“, sagte DPolG-Chef Rainer Wendt. Von ehemals rund 100.000 Alarmsirenen seien zwei Drittel inzwischen abgebaut worden und der Umstieg auf moderne Alarmsysteme sei bisher nicht gelungen.

„Wer Radio und Fernseher ausgeschaltet hat, bleibt heute zunächst blind und taub für Gefahren, während früher jeder Mensch hören konnte, dass Gefahr droht“, sagte Wendt. Zudem werde in Deutschland bei einer Katastrophe nicht unmittelbar im ganzen Land Alarm gegeben. Beim Bevölkerungsschutz leiste sich Deutschland einen „gefährlichen föderalen Flickenteppich“.

Wendt forderte die Bundesländer auf, rasch ein nationales Alarmsystem einzuführen. Katastrophen-Warnungen via Handy, Rauchmelder, Funkuhren oder Internet seien technisch machbar. Eine Einführung scheitere bisher aber daran, dass die Bundesländer das Thema nicht konsequent verfolgten. „Länder wie Japan, USA oder Niederlande sind hier deutlich weiter“, sagte Wendt. Bis die moderne Technik in Deutschland umgesetzt sei, müsse zumindest in Regionen mit Atomkraftwerken oder anderen Gefahrenquellen wieder verstärkt auf Alarmsirenen zurückgegriffen werden.

Außerdem hält die Deutsche Polizeigewerkschaft die Atomkraftwerke (AKW) in der Bundesrepublik für nicht sicher vor Terrorangriffen. Der stellvertretende Gewerkschaftschef Hermann Benker sagte der „Bild“-Zeitung (Onlineausgabe): „Die Polizei kann gezielte Terrorangriffe auf AKWs nicht verhindern.“ Szenarien wie gezielten Flugzeugabstürzen, Raketenangriffen mit mobilen Trägersystemen und Cyber-Attacken auf die Computer-Netzwerke der Reaktoren stehe die Polizei hilflos gegenüber.

Benker sagte, die Sicherheitsbeamten könnten lediglich durch Präsenz abschrecken. Für eine permanente Sicherung aller deutschen Kernkraftwerke mit vielen Einsatzkräften fehle das Personal. Er forderte ein europäisches Sicherheitskonzept zum Schutz vor terroristischen Angriffen auf Atomkraftwerke, da die Frage der Anschlagssicherheit sämtliche Atommeiler in Europa betreffe und zentral koordiniert werden müsse.

Der Atomexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, Tobias Riedl, sagte: „Vor allem für die alten Reaktoren gilt: Sie halten einem gezielten Flugzeugabsturz nicht stand. Das belegen alle unsere Studien zu dem Thema.“ Er forderte einen endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, hat Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) aufgefordert, die nach der Atomkatastrophe von Japan extrem verunsicherte Bevölkerung in Deutschland aufzuklären. „Als Laie kann man nicht einschätzen wie gefährlich die Lage ist“, sagte Lauterbach der „Passauer Neuen Presse“ (Freitagsausgabe). Es sei „fatal“, dass Rösler, in dieser Situation abgetaucht sei. „Herr Rösler muss deutlich sagen: ’Bitte, kaufen Sie keine Jodtabletten, keine Geigerzähler oder Schutzanzüge. Für uns besteht keine Gefahr aus der japanischen Atomkatastrophe.’„

Den Hinweis aus dem Gesundheitsressort, Strahlenschutz sei Sache des Umweltministeriums, ließ Lauterbach nicht gelten. Die Menschen hätten Angst vor Gesundheitsrisiken. „Es fällt in die Zuständigkeit des Gesundheitsministers, zu sagen, ob eine Gefahr besteht oder nicht“, sagte er. Der SPD-Politiker kritisierte zudem, dass für einen nuklearen Störfall in Deutschland kaum vorgesorgt sei. „Die Bevölkerung ist mit dem Mantra abgespeist worden, dass die deutschen Atomkraftwerke sicher sind.“ (dapd/afp)