Noch keine Einigung bei den Hartz-IV-Verhandlungen - das Abendblatt erklärt die Punkte, um die sich Regierung und Opposition streiten.

Berlin. Es ist mal wieder spät geworden. Bis in die Nacht haben die Spitzen von Regierung und Opposition bei Kartoffelsuppe und Wildragout in der Hamburger Landesvertretung in Berlin zusammengesessen und über eines der zähesten Themen der vergangenen Wochen debattiert: die Hartz-IV-Reform. Eigentlich hätte das Gesetz ja bereits zum 1. Januar in Kraft treten sollen. Eigentlich, so hätte es sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gewünscht, hätten rund 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger dann fünf Euro mehr pro Monat bekommen und ihre Kinder per Bildungschipkarte Klavier- oder Blockflötenunterricht.

Doch daraus ist bekanntermaßen nichts geworden. Weil SPD und Grüne den Gesetzesentwurf im Bundesrat blockiert haben, berät jetzt der Vermittlungsausschuss über Nachbesserungen. Und dabei sind die Fronten so verhärtet, dass es nur in Mini-Schritten vorangeht. Am 11. Februar soll der Bundesrat erneut über die Reform abstimmen - die Zeit drängt. Worüber streiten die Parteien im Detail?

1. Die härteste Nuss: die Neuberechnung der monatlichen Regelsätze

In der Vorlage von der Leyens ist eine Erhöhung der Bezüge von 359 Euro auf 364 Euro vorgesehen. Grundlage ist die "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe", bei der rund 60 000 Haushalte nach Einnahmen und Ausgaben befragt wurden. Die unteren 15 Prozent hiervon wurden dem neuen Regelsatz zugrunde gelegt - und genau das kritisiert die Opposition massiv.

Zuvor hätten die unteren 20 Prozent als Maßstab gedient, monieren SPD und Grüne. Ihr Vorwurf: Die Sätze wurden nicht nach Bedarf der Betroffenen, sondern nach Kassenlage berechnet. Deshalb fordern sie eine Neuberechnung und eine Erhöhung. Auf eine genaue Summe hat sich die Opposition jedoch nicht festgelegt, was von der Leyen kritisiert. Im Gespräch sind Beträge von bis zu 35 Euro, Union und FDP lehnen das ab. In den Verhandlungen ist man hier kaum einen Schritt weitergekommen. "Insbesondere beim Regelsatz ist es so, dass bisher noch keinerlei Bewegung stattgefunden hat", sagte von der Leyen gestern. Die Situation ist festgefahren.

2. Erste Fortschritte: das Bildungspaket für bedürftige Kinder

Ursprünglich war geplant, den Kindern aus Hartz-IV-Familien mit 740 Millionen Euro die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Von der Leyen wünschte sich ein Gutscheinsystem, die Organisation sollten die Jobcenter übernehmen.

Zu bürokratisch, meinten SPD und Grüne - und haben in diesem Punkt einen Teilerfolg errungen. Das Bildungspaket soll jetzt direkt von den Kommunen ausgeführt werden, die das Geld vom Bund erstattet bekommen. Profitieren werden von den Zuschüssen für Schulmaterial, Mittagessen, Nachhilfe und Freizeit dann rund 2,5 Millionen Kinder. Das sind 200.000 mehr als bislang vorgesehen, da - wie von der SPD gefordert - die Kinder von Wohngeldempfängern hinzukommen. Damit wird das Bildungspaket 50 Millionen Euro teurer. Jetzt geht es noch um juristische Details. Zwar gestalten sich auch hier die Verhandlungen weiter zäh - wegen des großen Fortschritts ist eine Einigung jedoch wahrscheinlich.

3. Kampf an zu vielen Fronten: das Problem mit dem Mindestlohn

Die SPD verhandelt mit den Nachbesserungen am Hartz-IV-Gesetz auch ihren Wunsch nach einem flächendeckenden Mindestlohn. Annäherung mit Union und FDP gibt es hier bei der Zeitarbeit, Streit jedoch bei dem Aspekt des "Equal Pay". Strittig ist, ab wie vielen Monaten die gleiche Bezahlung von Zeitarbeitern und Stammbelegschaft vorgeschrieben werden soll. Die SPD will dies am liebsten ab dem ersten Tag, spätestens jedoch nach vier Wochen, auch die CSU hat ein Entgegenkommen signalisiert. Die FDP sieht jedoch einen Zeitraum von neun bis zwölf Monaten. SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig sagte im ZDF-"Morgenmagazin", in diesem Punkt sei sich die Regierung "überhaupt nicht einig". Das sei ein großes Problem. "Diese Zerstrittenheit müssen die jetzt erst mal klären." Da ab 1. Mai auch Zeitarbeiter aus osteuropäischen EU-Staaten in Deutschland arbeiten dürfen, besteht die Gefahr von Lohndumping. Alle Parteien wissen: Eine Einigung ist zwingend.

Fazit: In vielen Punkten scheint es noch ein weiter Weg bis zu einem Kompromiss zu sein. Aber auch wenn SPD und Grüne mittlerweile sogar ein Scheitern der Verhandlungen für möglich halten, kann es sich keiner der Beteiligten leisten, bis zum 11. Februar nicht zu einer Einigung zu kommen. Sieben Landtagswahlen stehen bevor. Dazu kommt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Februar 2010 eine Reform bis zum 1. Januar eingefordert hat. So viel ist klar: Auch bei den nächsten Beratungen am 6. Februar steht den Verhandlungspartnern eine lange Nacht bevor.