Mit Seehofers Besuch in Prag haben sich die Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien entspannt - gelöst ist der Konflikt noch nicht.

Prag/Berlin. Petr Necas hat eigentlich ganz andere Sorgen. Die Mitte-rechts-Koalition des tschechischen Ministerpräsidenten kämpft gerade gegen den Vertrauensverlust durch eine Korruptionsaffäre. Heute muss sich Necas einem Misstrauensvotum im Parlament stellen. Das Ende ist ungewiss. Vor und nach seinem Treffen mit Horst Seehofer verschwand der Regierungschef immer wieder zu Krisengesprächen mit seinem Koalitionspartner.

Und dennoch bekam der Besuch des bayerischen CSU-Vorsitzenden in Prag viel Aufmerksamheit. Zu Recht - denn es ist eine historische Reise in die Hauptstadt an die Moldau. Erstmals seit Ende des Kalten Krieges besucht ein Ministerpräsident Bayerns offiziell den tschechischen Nachbarn. Erstmals brechen beide Seiten die politische Eiszeit der vergangenen Jahrzehnte. Der Streit um die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen, der bisher eine Normalisierung des Verhältnisses unmöglich machte, ist nicht gelöst - aber in den Aktenschrank verbannt. "Wir sind uns einig, dass wir gemeinsam den Blick nach vorn in die Zukunft richten wollen", sagt Seehofer.

Mit dieser Aussage räumt er mit einer alten CSU-Position auf - die Forderung nach der Rücknahme der Benesch-Dekrete. Die Erlasse waren die Grundlage für die Vertreibung und Enteignung von Deutschen nach 1945. Die Meinungsverschiedenheiten bleiben zwar bestehen, aber sie sollen keine Rolle mehr spielen. "Was wir nicht vermeiden konnten, sind die unterschiedlichen Ansichten zur Vergangenheit", sagt Necas. Nach der grausamen Besatzung der Nazis ordnete der tschechoslowakische Präsident Edvard Benesch in den Jahren 1945 und 1946 die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen und der 600 000 ungarischen Einwohner an. Dabei kamen nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung mindestens 23 000 Menschen zu Tode. Nach dem Krieg gelangten die meisten Vertriebenen nach Bayern. Diese Geschichte - und vor allem die unterschiedliche Sichtweise darauf - blockiert eine Aussöhnung.

Doch noch nie war der Dialog so offen wie jetzt. Die Tschechen nennen die Vertreibung beim Namen - und sprechen nicht mehr verharmlosend von "Abschub". Und der Sprecher der Sudentendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, besuchte jüngst die Gedenkstätte in dem von den Nazis ausgelöschten Ort Lidice nahe Prag. Er bat die Tschechen um Vergebung für den Anteil der Sudentendeutschen an den Verbrechen der Nationalsozialisten. Ebendiese Verbrechen und die folgende Vertreibung sind bis heute Fluchtpunkt der politischen Beziehungen zwischen Bayern und Tschechen. "Der Besuch von Horst Seehofer ist sehr positiv", sagt die Historikerin Christiane Brenner vom Münchner Collegium Carolinum dem Hamburger Abendblatt. Er sei aber längst überfällig, denn "das Verhältnis sowohl auf bundespolitischer Ebene als auch zwischen den Menschen in Deutschland und Tschechien ist schon viel offener und zukunftsorientierter, als die offiziellen bayerisch-tschechischen Beziehungen es lange Zeit waren", hob Brenner hervor. Dass Posselt nun auch bei dem Treffen in Prag dabei war, signalisiert ein Entgegenkommen der Tschechen.

Das Eis in der verschneiten tschechischen Hauptstadt brach schon am Sonntagabend Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg. Der Fürst entstammt altem deutschsprachigen Hochadel, kennt viele CSU-Politiker und hat Familie in Franken, wo das Schloss der Schwarzenbergs steht. Beim Dinner im Außenministerium servierte der Fürst seinen bayerischen Gästen Leberknödelsuppe. Der Knödel, so berichtet Schwarzenberg dann, sei von Franken über Böhmen nach Bayern ausgewandert. Auch diese kulinarische Diplomatie entspannt. Und sie war die ideale Vorspeise für die heikleren Gespräche zwischen Seehofer und Necas.

"Es ist erstaunlich, dass es 65 Jahre bis zu einer Normalisierung des Verhältnisses gedauert hat", sagte Gernot Erler, der stellvertretende Fraktionschef der SPD, dem Abendblatt "Aber besser spät als gar nicht." Auf diesen Dialog aufbauend, müssten beide Seiten nun in bilateralen Projekten die Beziehungen festigen.

Ein erster Schritt dafür ist getan: In einem gemeinsamen Kommuniqué vereinbarten beide Politiker die Verbesserung der grenzüberschreitenden Straßen- und Bahnverbindungen sowie eine verstärkte Zusammenarbeit beim Thema Energie und Bildung.