Der CSU-Generalsekretär über politische Freunde und Feinde, den Fachkräftemangel als Fata Morgana und seinen Chef Horst Seehofer.

Berlin. Generalsekretäre haben die Aufgabe, zu polarisieren und zuzuspitzen. Alexander Dobrindt von der CSU tut dies mit besonderer Leidenschaft - und ohne Scheu vor Grenzüberschreitungen, wie er im Abendblatt-Interview beweist.

Hamburger Abendblatt:

Wo ist Horst Seehofer?

Alexander Dobrindt:

Gerade im Bundesrat.

Und sonst? Bis auf ein paar Witze über Claudia Roth beim CDU-Parteitag hat er sich in letzter Zeit kaum bemerkbar gemacht.

Dobrindt:

Falsch. Horst Seehofer hat die politischen Themen der vergangenen Monate vorgegeben. Die Integrationsdebatte ist eine Debatte der CSU, geführt von Horst Seehofer.

Da haben Sie eine ganz eigene Wahrnehmung.

Dobrindt:

Aber die richtige. Die CSU ist elementarer Bestandteil der aktuellen politischen Debatte. Wir formulieren die Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen, schneller und deutlicher als alle anderen Parteien.

Zumindest gelingt es der CSU jetzt besser, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Sie attackieren mehr die Opposition und weniger den Koalitionspartner ...

Dobrindt:

Wir stellen die Frage, wer bereit ist, Verantwortung in der Politik zu übernehmen. Union und FDP übernehmen Verantwortung für die Zukunft unseres Landes, während das linke Lager verantwortungslos handelt - allen voran die Grünen.

So viel Angriffsfläche haben die Grünen auf ihrem Parteitag gar nicht geboten ...

Dobrindt:

Die Grünen haben sich als politischer Gegner der Bürger entpuppt. Sie wollen die Steuern erhöhen, sie wollen das Ehegattensplitting abschaffen, und sie opponieren gegen alles, was für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von Bedeutung ist. Die Grünen zeigen der Demokratie den Mittelfinger und handeln nach dem Motto: Wenn die Mehrheit nicht will, was wir wollen, gehen wir dagegen auf die Straße.

Der neue stellvertretende CDU-Vorsitzende Norbert Röttgen warnt die Union davor, sich allein auf die FDP als Koalitionspartner zu stützen. Hat er die Orientierung verloren?

Dobrindt:

Für die CSU ist klar: Die Grünen können kein Partner für das bürgerliche Lager sein.

Grundsätzlich nicht?

Dobrindt:

Wir machen Politik für die Bürger, die Grünen machen Politik gegen die Bürger. Ich weiß nicht, wo da die Gemeinsamkeiten sein sollen. Schwarz-Grün ist für ganz lange Zeit auszuschließen. Die Grünen sind keine Partei, sondern der politische Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern. Das hat man bei den Protesten gegen Stuttgart 21 und gegen den Castor-Transport gesehen. Mit den Grünen ist keine verantwortungsvolle Politik zu machen.

In Hamburg hält Schwarz-Grün schon fast drei Jahre ...

Dobrindt:

Vielleicht liegt das an den Hamburger Grünen. Woanders und im Bund sehe ich keine Chance für Schwarz-Grün.

Die Union kettet sich an die FDP, die bei den nächsten Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte ...

Dobrindt:

Wenn sich jemand an etwas kettet, dann sind das die Grünen an Bahnschienen. Wir wollen Mehrheiten für dieses Land gewinnen. Und wir kämpfen in erster Linie dafür, möglichst viel selber zu diesen Mehrheiten beizutragen. Der Herbst der Entscheidungen wird übergehen in ein Frühjahr der Entscheidungen.

In der Debatte um Fachkräftemangel hat die FDP der CSU eine "Lebenslüge" vorgehalten. Gering qualifizierte Langzeitarbeitslose könnten den Ingenieurbedarf in Deutschland nicht decken ...

Dobrindt:

Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind andere ... Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt: Der Fachkräftemangel ist eine Fata Morgana.

Ganz so sagt das Institut es nicht.

Dobrindt:

Andere Studien zeigen: Die Fachkräfte, die gebraucht werden, sind neben den Ingenieuren vor allem Kraftfahrer und Köche. Ein großes Land wie Deutschland tut gut daran, diesen Bedarf mit seinem eigenen Arbeitskräftepotenzial zu decken. Wir haben immer noch fast drei Millionen Arbeitslose.

Wir verstehen Sie richtig: Deutschland braucht gar keine Fachkräfte aus dem Ausland?

Dobrindt:

Wir haben Regeln, die Höchstqualifizierten die Möglichkeit der Zuwanderung geben. Dabei muss es bleiben. Es wäre fatal, kurz nach dem Ende einer historischen Wirtschaftskrise die Schleusentore für Zuwanderung zu öffnen. Jetzt müssen alle, die auf den Aufschwung in Deutschland gehofft haben, die Chance bekommen, an diesem Aufschwung teilzuhaben. Das bedeutet: Qualifizierung geht vor Zuwanderung. Unser Aufschwung muss am deutschen Arbeitsmarkt ankommen - und nicht irgendwo anders auf der Welt.

Ist Deutschland kein Einwanderungsland?

Dobrindt:

Überhaupt nicht. Zuwanderungsländer haben keine klassische Kultur. Ihre Identität speist sich aus kulturellen Mitbringseln aus anderen Teilen der Welt. Deutschland zeichnet sich dadurch aus, dass es eine jahrhundertealte Tradition hat. Wir leben eine Leitkultur mit christlichen Wurzeln.

Also kann sich die FDP von ihrem Plan verabschieden, das kanadische Punktesystem auf Deutschland zu übertragen.

Dobrindt:

Man muss politisch schon sehr in der Vergangenheit leben, wenn man Lösungen, die andere gerade abschaffen, in einem modernen Land wie Deutschland einführen will. In Kanada läuft die Diskussion auf die Abschaffung des Punktesystems hinaus. Ein Punktesystem deckt nicht den Bedarf an Arbeitskräften, sondern macht Schleusentore auf für beliebige Zuwanderung. Ein Punktesystem bringt Zuwanderung in die Sozialsysteme statt in den Arbeitsmarkt. Mit der CSU wird es ein Punktesystem in Deutschland nicht geben.

Die Frage, ob Sie den Wunsch der Wirtschaft erfüllen und die Einkommensgrenze für Zuwanderung senken, erübrigt sich da schon fast.

Dobrindt:

Wir reden von Höchstqualifizierten. Da ist die bestehende Einkommensgrenze von 66 000 Euro für außereuropäische Bewerber völlig ausreichend. Wir haben in Europa demnächst 500 Millionen Menschen, die in Deutschland Arbeit suchen können. Am 1. Mai fallen die Schranken zu den osteuropäischen Ländern mit allein 33 Millionen Arbeitskräften. Wenn wir es nicht schaffen, unsere eigenen Arbeitskräfte zu qualifizieren, ist das ein Armutszeugnis und kein Beispiel für die Welt.

Haben Sie eigentlich Angst vor Ausländern?

Dobrindt:

Nein. Und als Bayer schon gar nicht.

In einer Frage kämpfen CSU und FDP seit je gemeinsam: Sie wollen die Steuern weiter senken. Was ist drin in dieser Wahlperiode?

Dobrindt:

Unser oberstes Ziel heißt Haushaltskonsolidierung, das zweite Steuervereinfachung. In einem dritten Schritt wollen wir das Wirtschaftswachstum dazu nutzen, die kalte Progression bei der Einkommensteuer zu lindern.

Gelingt das noch in dieser Wahlperiode?

Dobrindt:

Ich bin mir sicher, dass wir Entlastungsspielräume in den nächsten Jahren entwickeln können. Wir werden Wachstum haben und intelligent sparen. Davon müssen die Bürger profitieren.

Was versprechen Sie sich von der Steuervereinfachung, die Finanzminister Schäuble plant?

Dobrindt:

Entscheidend ist: Weniger Papier, mehr Pauschalen.

Wann kommt die Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt?

Dobrindt:

Meine letzte Steuererklärung hat etwa 15 Seiten umfasst. Zwischen Bierdeckel und 15 Seiten ist noch ein bisschen was. Ziel muss sein, dass der Bürger eine ausgefertigte Steuererklärung bekommt, die er nur noch prüfen und unterschreiben beziehungsweise ergänzen muss.

Welche Pauschalen soll es geben?

Dobrindt:

Auf die Details der Steuervereinfachung wollen wir uns in der Koalitionsrunde am 9. Dezember verständigen.

Was soll bei der geplanten Reform der Mehrwertsteuer herauskommen?

Dobrindt:

Es ist nicht die erste Kommission, die zusammensitzt, um das Mehrwertsteuersystem zu überprüfen. Ich fürchte, es wird auch nicht die letzte sein.

Ihre Erwartungen sind also gedämpft.

Dobrindt:

Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bringt insgesamt 23 Milliarden Euro. Davon entfallen 17 Milliarden auf Lebensmittel. Ich schließe aus, dass wir den vollen Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel erheben werden. Das Gleiche gilt für Presseerzeugnisse und den Kulturbereich Das Volumen, über das man ernsthaft verhandeln kann, ist deutlich kleiner, als manche in der Koalition glauben.

Wenn Sie die Steuergeschenke für Hoteliers zurücknehmen, haben Sie schon mal eine Milliarde ...

Dobrindt:

Die Steuerentlastung bei den Hotels ist Teil des Wachstumspakets, das wirkt. Es gibt in diesem Bereich einen gigantischen Investitionsboom. Es ist gelungen, die Wettbewerbssituation in den grenznahen Gebieten deutlich zu entschärfen. Das hilft der deutschen Wirtschaft und sichert Arbeitsplätze. Eine Rücknahme der Steuerentlastung bei den Hotels wird es nicht geben.

Umfragen sehen die Seehofer-CSU in Bayern unter 40 Prozent. Stoiber hatte vor wenigen Jahren im bayerischen Landtag noch eine Zweidrittelmehrheit geholt. Wie kann Ihre Partei an alte Zeiten anknüpfen?

Dobrindt:

Ich kenne nur Umfragen über 40 Prozent.

Das macht es nicht viel besser.

Dobrindt:

Die Umfragen sind nicht zufriedenstellend für uns. Aber es gibt einen deutlichen Aufwärtstrend.

Trauen Sie Karl-Theodor zu Guttenberg zu, die CSU zu alter Stärke zu führen?

Dobrindt:

Guttenberg ist unter den Bundesministern ein herausragender. Wir sind froh, dass wir dank der Erneuerung, die Horst Seehofer angestoßen hat, eine Reihe junger Politiker haben, die jetzt schon eine große Rolle in der Politik spielen.

Eine hübsche Umschreibung dafür, dass Guttenberg zumindest heimliche Nummer eins der CSU ist.

Dobrindt:

Horst Seehofer ist unser Parteivorsitzender und die Nummer eins.