Die Regierung wusste früh, dass RWE Steuerzahlung von 280 Millionen Euro vermeiden will. Die neue Steuer soll ab Januar 2011 gelten.

Berlin. Mit einer neuen Steuer auf Brennelemente will die Bundesregierung ab dem 1. Januar 2011 jährlich 2,3 Milliarden Euro einnehmen. Die Empörung war entsprechend groß, als vor einer Woche bekannt wurde, dass der Energiekonzern RWE noch in diesem Jahr fast die Hälfte aller Brennelemente im hessischen Atomkraftwerk Biblis B austauschen will. Das hessische Umweltministerium errechnete, dass RWE so einer Steuerzahlung von 280 Millionen Euro aus dem Weg geht. Jetzt wurde bekannt: Die Bundesregierung war frühzeitig über das Vorhaben von RWE informiert - zwei Wochen, bevor das entsprechende Kernbrennstoffsteuergesetz im Bundestag verabschiedet wurde. Das Bundesfinanzministerium erhielt am 13. Oktober vom hessischen Umweltministerium Nachricht, das Bundesumweltministerium nur einen Tag später. Das geht aus einem Schreiben des Bundesumweltministeriums an die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl hervor, das dem Abendblatt vorliegt.

Nach Auffassung der Opposition hätte die Bundesregierung vor der Bundestagsabstimmung das Steuerschlupfloch noch schließen können. "Die Regierung hat nicht nur schlampig gearbeitet, sondern wissentlich einen Steuerausfall in Höhe von 280 Millionen Euro hingenommen", sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagfraktion, Kotting-Uhl, dem Abendblatt. "Ein winziger Änderungsantrag hätte genügt, um der legalen Steuerhinterziehung von RWE einen Riegel vorzuschieben. Das hätte nicht mal einen Tag gekostet", ist die Grünen-Abgeordnete überzeugt. Doch die Regierung habe zwei Wochen die Hände in den Schoß gelegt "und RWE noch ein dickes Geschenk auf die Laufzeitverlängerung obendrauf gelegt".

Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, warf der Bundesregierung vor, mit den zur Verfügung stehenden Informationen alle Möglichkeiten gehabt zu haben, noch während der laufenden parlamentarischen Beratung bis zur Bundestagsabstimmung am 28. Oktober die ihr bereits bekannte Umgehung der Brennelementesteuer durch RWE im Fall Biblis B zu stoppen.

"Beispielsweise hätten auch solche Brennelemente steuerpflichtig gemacht werden können, deren Neueinsatz nicht länger als drei Monate zurückliegt", sagte Miersch dem Abendblatt. "Auch andere steuerrechtliche Wege wären gangbar gewesen, um dieses Schlupfloch zu schließen." Hier stelle sich eindeutig die Frage nach dem politischen Willen der schwarz-gelben Regierung, so Miersch: "Entweder ist ihr der Ausfall von über 280 Millionen Euro bereits verplanter Steuereinnahmen trotz deutlicher Hinweise nicht aufgefallen, oder es handelt sich schlicht um eine weitere Gefälligkeit für die Energiekonzerne." Beide Optionen ließen an einer seriösen Energiepolitik der Bundesregierung zweifeln, sagte der SPD-Politiker. Anders als bei der Brennelementesteuer hatte die Koalition bei der neuen Flugticketsteuer eine Bremse gegen Vorzieheffekte eingebaut. Um zu vermeiden, dass sich Reisende noch schnell mit steuerfreien Flügen in 2011 eindecken, wird die Ticketsteuer rückwirkend zum 1. September eingeführt, dem Tag des Kabinettsbeschlusses.

Ein Sprecher des Finanzministeriums verteidigte das Vorgehen seines Hauses und machte deutlich: Dass ein Energiekonzern noch in diesem Jahr Brennelemente austauschen könnte, hatte die Bundesregierung bei der Planung des Gesetzes in Kauf genommen. "Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf die Möglichkeit einer vorgezogenen Beladung gesehen und bei der Festsetzung des Steuertarifes entsprechend berücksichtigt", erklärte der Sprecher. Wegen der technischen und organisatorischen Anforderungen beim Auswechseln der Brennelemente werde es sich nur um Einzelfälle handeln, betonte er.

Einen Steuerausfall durch das Verhalten bei RWE befürchtet man im Finanzministerium nicht: Der Gesetzentwurf zur Einführung einer Kernbrennstoffsteuer sehe nach wie vor Steuermehreinnahmen für den Bund von 2,3 Milliarden im Jahr 2011 vor.

Vor einer Woche hatte RWE bestätigt, wegen eines "außerplanmäßigen Stillstands" in den nächsten Wochen 92 der 193 Brennelemente in Biblis B auszuwechseln. Die Brennelementesteuer wird fällig, wenn mit einem Brennelement erstmals die zur Energieerzeugung nötige Kettenreaktion ausgelöst wird. Die Steuer ist bis 2016 befristet und soll einen Teil der Zusatzgewinne der Energieversorger aus der AKW-Laufzeitverlängerung abschöpfen.