Greenpeace protestiert spektakulär, Blockadeübung vor dem Brandenburger Tor. Auch einige CDU-Abgeordnete sind gegen die Atompläne.

Berlin. Die Atomkraftwerke in Deutschland sollen im Schnitt zwölf Jahre länger laufen. Der Mit schwarz-gelben Regierungsmehrheit beschloss der Bundestag, dass die Betriebszeit der vor 1980 gebauten sieben Anlagen um acht Jahre verlängert wird und die der zehn übrigen Akw um 14 Jahre. Für die Änderung der Atomgesetze stimmten 308 Abgeordnete, dagegen 289. Zwei Parlamentarier enthielten sich. Union und FDP haben rechnerisch zusammen 332 Stimmen. Es gab also 24 Abweichler. Für die längeren Laufzeiten sollen über eine Atomsteuer und einen Fonds zum Ausbau der Ökoenergien insgesamt 30 Milliarden Euro von den Akw-Betreibern abgeschöpft werden.

Wegen einer fehlender Mehrheit in der Länderkammer wollen Union und FDP das neue Atomgesetz ohne Zustimmung des Bundesrats. Deshalb hat die Opposition Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Der Erfolg dieser Klagen ist ungewiss. In einer äußerst scharf geführten Debatte über das Energiekonzept haben sich Regierung und Opposition gegenseitig Unwahrheiten und Missachtung demokratischer Rechte vorgeworfen. Während Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) von „argumentationslosem Kampfgeschrei“ bei SPD, Grünen und Linken sprach, warnten diese vor dem Ende des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland. Die Grünen nannten das Verhalten der Koalition einen „Putsch“ gegen Rechte der Opposition.

Die Opposition scheiterte mit einem Antrag, Debatte und Abstimmung in letzter Minute zu stoppen, weil die Beratung der vier Energiegesetze zu kurz und undemokratisch gewesen sei. Im Umweltausschuss des Bundestags hatte es in den vergangenen Tagen tumultartige Szenen gegeben. Die Opposition sah sich in ihrem Recht verletzt, Änderungsanträge einzubringen. Die Koalition vermutete dagegen nur Verzögerungstaktik.

Zentraler Streitpunkt beim Energiekonzept ist die Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre. Die heutige Opposition, die in der Regierung vor zehn Jahren den Atomausstieg bis 2021 durchsetzte, warnt vor den Gefahren der Technik und davor, dass der billige Atomstrom den Ausbau erneuerbarer Energien verzögert. Auch mehrere Politiker der schwarz-gelben Koalition haben Unmut über die längeren Atomlaufzeiten geäußert. Der CDU-Abgeordnete Frank Heinrich führte in einer zu Protokoll gegebenen Rede zwei Gründe an, warum er sich an sein Gewissen gebunden sehe und gegen die Laufzeitverlängerung stimmte.

Der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel begründete seine Ablehnung mit einem Konflikt zwischen Atomkraft und Ökoenergien. „Längere Laufzeiten von Kernkraftwerken stützen den notwendigen technologischen Wandel nicht, sondern sie bremsen ihn.“ Der Erklärung Göppels schloss sich der Hamburger CDU-Politiker Rüdiger Kruse an.

Etwa 50 Atomkraftgegner haben vor dem Brandenburger Tor eine Blockade von Castor-Transporten geprobt. Mit Strohsäcken als Sitzkissen simulierten sie die geplanten Protestaktionen bei Gorleben im Wendland. In einer simulierten Räumung nahm ein Teil der Aktivisten die Rolle der Polizei ein und trug die anderen Teilnehmer als Demonstranten von der Straße. Greenpeace hatte die CDU-Zentrale am Morgen mit einem überdimensionalen Transparent versehen .

Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) zerpflückten das Konzept der Regierung und griffen ihren Nachfolger auch direkt an. Röttgen fülle seine Aufgabe als Minister für Reaktorsicherheit nicht aus, sagte Gabriel. Unter anderem weiche er Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke auf. Der SPD-Chef zeigte sich sicher, die längeren Atomlaufzeiten noch stoppen zu können: „Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen.“ Grünen-Fraktionschef Trittin sagte: „Sie brechen die Verfassung und sie spalten die Gesellschaft.“