Ihr Plan, Stimmrechte im Lissaboner Vertrag zu ändern, stößt auf breiten Widerstand. Steinmeier wirft Merkel einen “Kuhhandel“ vor.

Berlin/Hamburg. Trotz heftiger Kritik aus der Europäischen Union hält Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an Plänen zur Reform der Währungsunion und einer damit verbundenen Änderung der EU-Verträge fest. Anders sei die Europäische Union nicht krisenfest zu machen, sagte Merkel am Mittwoch vor dem Bundestag in einer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel.

"Wir müssen heute Vorsorge zur Bewältigung künftiger Krisensituationen treffen", begründete die Kanzlerin die umstrittenen Pläne. Daher sei nach Auslaufen des bis 2013 geltenden milliardenschweren Rettungsfonds für Griechenland und andere Euro-Länder ein "rechtlich unangreifbarer" Krisenmechanismus für verschuldete Mitgliedsländer nötig. Merkel erneuerte die Forderung nach einem Stimmrechtsentzug für hartnäckige Defizitsünder . "Gelingen wird das nur mit einer Änderung der europäischen Verträge."

Die Kanzlerin hatte sich mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf diese beiden Forderungen geeinigt und war damit auf heftige Kritik gestoßen. Denn der geltende Lissabon-Vertrag konnte erst nach langem Tauziehen und gescheiterten Volksabstimmungen vor elf Monaten in Kraft treten.

Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, wiederholte gestern ihre scharfen Vorwürfe gegen Merkel und Sarkozy. "Es ist unverantwortlich, die Büchse der Pandora zu öffnen", sagte Reding in Brüssel zu der geforderten Vertragsänderung. Ein ständiger Rettungsschirm für EU-Länder und eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts seien auch ohne Änderung der Rechtsgrundlagen machbar, betonte sie. Ein Sprecher von Kommissionspräsident José Manuel Barroso relativierte Redings Äußerungen jedoch als "persönliche Ansichten". Der Chef der 16 Euro-Länder, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, kündigte vor dem zweitägigen Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs ab heute in Brüssel Widerstand gegen einen Stimmrechtsentzug an. "Um es klar zu sagen: Stimmrechtsentzug für Haushaltssünder ist kein gangbarer Weg, und ich schließe in dieser Frage jede Änderung des EU-Vertrags aus", sagte Juncker der "Welt".

Ein solcher Entzug ist im EU-Vertrag bisher lediglich für Staaten vorgesehen, die "schwerwiegend und anhaltend" gegen Grundwerte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit verstoßen. Dies könne "nicht auf eine Ebene" mit Verstößen gegen den Stabilitätspakt gebracht werden. Zum deutsch-französischen Plan sagte der Luxemburger: "Das ist eine Idee, die man nicht weiter verfolgen sollte."

Für eine Änderung des EU-Vertrags kann ein Konvent unter anderem aus Vertretern nationaler Parlamente eine Empfehlung abgeben. Beim "vereinfachten Änderungsverfahren" dagegen können die Staats- und Regierungschefs interne Politikbereiche der EU bei Einstimmigkeit ändern.

Merkel räumte ein, dass die deutsch-französischen Pläne umstritten sind. Sie stellte jedoch klar, dass beide Länder zu harten Verhandlungen bereit seien: "Es ist wahr: Eine deutsch-französische Einigung ist nicht alles in Europa", sagte die Kanzlerin. "Aber wahr ist auch: Ohne eine deutsch-französische Einigung wird vieles nichts."

Juncker schlug allerdings in einem Interview mit dem luxemburgischen Fernsehen RTL eine "leichte Revision" des EU-Vertrags vor. Diese Änderung solle für den Fall, dass einer der 16 Staaten mit Euro-Währung zahlungsunfähig werde, die Beteiligung von Banken und privaten Investoren an einem "Rettungsschirm" sicherstellen. Juncker sagte, er sei "prinzipiell dafür", dass auch der private Sektor einschließlich der Finanzinstitute an einem Insolvenz-Mechanismus für Euro-Staaten beteiligt wird. Er soll an die Stelle des bis 2013 befristeten Rettungsschirms in Höhe von 750 Milliarden Euro treten. Allerdings solle die Änderung nur für die 16 Mitglieder der Euro-Zone gelten.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf Merkel derweil vor, "die Hälfte Europas gegen uns aufgebracht" zu haben. Der "Kuhhandel" mit Frankreich habe, anders als von Merkel dargelegt, nicht die Tür zu einer möglichen Verständigung geöffnet, sondern "die Lage und die Einigung in Europa noch wesentlich schwerer gemacht". Der "Deal von Deauville" von Merkel mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy habe die Tür für eine Einigung in Wahrheit erschwert. Die könne man ihr nicht durchgehen lassen.