Merkels Vorstoß für schärfere EU-Stabilitätsregeln ist überflüssig.

Das Titanenwerk der europäischen Einigung mit der Aussöhnung der erbitterten Feinde zweier Weltkriege, mit der Auflösung der gegnerischen Blocksysteme bis hin zur Schaffung einer gemeinsamen Währung darf getrost als die größte Friedensleistung der vergangenen 65 Jahre auf der Erde gewertet werden. Die Europäische Union ist in Sachen Wohlstand und friedlicher Konfliktregelung ein glühend beneidetes Vorbild von Asien bis Afrika. Doch der engen finanzpolitischen Verzahnung liegt ein risikoträchtiger Widersinn zugrunde: Eine wertstabile Währung soll in Ländern mit völlig unterschiedlichen Wirtschaftskulturen und geradezu grotesk divergierender Leistung gleichermaßen gelten. Die globale Finanzkrise hat diese eingebaute Bruchstelle schmerzhaft offenbart. Und ausgerechnet Staaten wie Deutschland mit relativer Haushaltsdisziplin und hoher Leistung dürfen nun mit Milliardentransfers an disziplinlose Verschwender das europäische System vor dem Absturz retten. Dass dies nicht das Rezept auch für die kommenden Herausforderungen sein darf, dürfte man auch in Athen oder Lissabon begreifen können.

Die deutsche Kanzlerin sticht mit ihren Forderungen nach einer Verschärfung der europäischen Stabilitätsregeln in ein Wespennest an Partikularinteressen, wohliger Schluder-Traditionen und Souveränitäts-Eifersüchteleien. Dabei ist dieser Vorstoß überfällig und - aller Kritik zum Trotz - ebenso richtig wie die Taktik, sich dazu mit dem zweistärksten EU-Staat Frankreich einen starken Verbündeten zu suchen. Gegen die deutsch-französische Achse mit ihrem gewaltigen Drehmoment geht in Europa eben sehr wenig. Beide Staaten tragen zusammen die Hälfte des 750 Milliarden Euro umfassenden europäischen Rettungsschirms. Allerdings hat der präsidiale Zentralstaat Frankreich eine traditionell eng gefasste Definition des Begriffes Souveränität und dürfte sich einem automatisierten System schmerzhafter Sanktionen, wie von Merkel ursprünglich gewünscht, widersetzen. Die Vorstellung der Kanzlerin, notorischen Sündern notfalls das EU-Stimmrecht zu entziehen, ist nur unter Änderung des kompromissreich zusammengeschraubten Lissabon-Vertrages möglich und damit wenig wahrscheinlich. Eine gewisse Verschärfung der Stabilitätsregeln wird wohl kommen - doch ob sie nach dem Spießrutenlauf durch die europäischen Institutionen noch genug Durchschlagskraft zur Bewältigung künftiger Großkrisen besitzen werden, ist eine andere Frage.