Die Kanzlerin sucht auf der Regionalkonferenz Kontakt zur Basis. Die sorgt sich um das Ansehen der Partei und um die Fehmarnbeltquerung.

Lübeck. Angela Merkel mag Klagen über das mangelnde Profil der CDU und die schlechten Umfragewerte nicht mehr hören. Auf der Regionalkonferenz in Lübeck holt die Parteivorsitzende nach fast zwei Stunden zum großen Gegenschlag aus, erklärt der meuternden Basis, dass die Union mit einem konservativen Kurs die Wähler in die Arme von SPD und Grünen treiben würde. "Je mehr ich das Profil schärfe, desto stärker mobilisiere ich die Gegenseite."

Bei den fast 1500 Parteimitgliedern aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern regt sich kaum eine Hand. Merkel legt nach, begründet, dass ihre Politik der Schlüssel zum Erfolg bei der Bundestagswahl war. Einige Stammwähler der CDU seien zwar zu Hause geblieben. Bei SPD und Grünen seien die Einbrüche aber deutlich größer gewesen. Und überhaupt: "Wir müssen wissen, der Stammwähler nimmt ab." Der Beifall bleibt spärlich.

Ein Heimspiel war die vierte von bundesweit sieben Regionalkonferenzen im Vorfeld des Bundesparteitags im November für Merkel schon vorher nicht. Begrüßt wird sie vor der Musik- und Kongresshalle von 500 Demonstranten. Einige protestieren gegen CO2-Speicher unter der Erde, andere gegen Atomkraftwerke. Der größte Block kommt aus Ostholstein. Mehrere Bürgerinitiativen fordern, die Pläne für eine Querung des Fehmarnbelts zu stoppen oder zumindest zu ändern. Merkel lässt sich auf keine Debatte ein.

Im Saal wird die Kanzlerin von der zweiten Garde begrüßt. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen lässt sich vom Kronprinzen und neuen Landesvorsitzenden Christian von Boetticher vertreten, Hamburgs Bürgermeister Christoph Ahlhaus von der Vize-Fraktionschefin Viviane Spethmann. Aus Mecklenburg-Vorpommern sitzt Parteichef Lorenz Caffier und damit der Innenminister auf dem Podest. Als Gastgeber legt von Boetticher vor. Er wirbt für kulturelle Vielfalt, wendet sich gegen Multikulti und stimmt so auf das erwartete Top-Thema des Abends ein, die Integration und den Islam.

Merkel nimmt den Faden geschickt auf. "Wer nach Deutschland kommt, muss sich integrieren." Starker Beifall. Die CDU-Vorsitzende legt ihr Parteibuch beiseite, spricht immer mehr als Kanzlerin. Sie kündigt den Herbst der Entscheidungen an, verteidigt die Beschlüsse zu Hartz IV, die Gesundheitsreform und die Aussetzung der Wehrpflicht. Einige Parteifreunde hängen an Merkels Lippen, andere sind von der Standardrede enttäuscht. Nun beginne "der wichtigste Teil" der Veranstaltung, bilanziert von Boetticher. Gemeint ist die Fragerunde. Als Erstes meldet sich ein Fehmarner zu Wort, fordert mehr Bürgerbeteiligung bei der Beltquerung. Ostholsteins Kreispräsident Joachim Wegener legt kräftig nach. Der geplante Ausbau der Bahntrasse zwischen Lübeck und Puttgarden würde den Tourismus kaputt machen. Nötig sei eine "sozialverträgliche", wenn auch teurere Trassenführung.

Merkel zeigt Verständnis, erinnert an ihren Wahlkreis Vorpommern und daran, dass sie die Querung mit Blick auf die Häfen im Osten stets kritisch gesehen habe. "Ich habe aber eine gesamtdeutsche Verantwortung." Daher habe sie dem Druck aus Kiel nachgegeben, den Querungs-Staatsvertrag mit Dänemark geschlossen. "Ich sehe aber ein, da ist noch viel zu besprechen." Sie werde Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bitten, Fehmarn zu besuchen.

Schwerer machen es Merkel die Mitglieder, die aus ihrem Frust über die Bundes-CDU keinen Hehl machen. "Wir an der Basis haben ein Problem", klagt Guido Landsmann aus Boizenburg. Die Erfolge würden schlecht vermarktet. "Ich sorge mich um das Profil der Partei", ergänzt Thorsten Albrecht aus Kiel. Die Führung habe den Kontakt zur Basis verloren.

Merkel nimmt die Kritik zunächst freundlich an. "Okay, wir müssen besser arbeiten und uns besser darstellen." In den ersten Monaten in Berlin sei es nicht so gelaufen, wie es sollte. "Im Augenblick ist es besser." Sie verweist auf die Wertedebatte in der CDU, scherzt, dass sie gemeinhin nicht als konservativ gelte. Als auch das nichts hilft, redet sie kurz Klartext und erklärt ihre Profilunschärfe zum Erfolgsrezept.

Die Reaktionen sind geteilt. Senioren wie Ernst Schwarz aus Halle an der Saale sind von der Kanzlerin begeistert, Kommunalpolitiker wie Frank Schmeil aus Geesthacht enttäuscht. "Sie hat sich als Kanzlerin verkauft, als Parteivorsitzende aber keine Lösungsansätze aufgezeigt." Nicht nur er blickt deshalb voller Sorge auf die nächste Wahl im März in Baden-Württemberg. "Ob sich dort das Schicksal der Kanzlerin entscheidet, weiß ich nicht", orakelt Hamburgs CDU-Geschäftsführer Gregor Jaecke.

Klar ist, dass die Nervosität wächst. Im September 2011 wählt Mecklenburg-Vorpommern, fünf Monate später Hamburg, dann Schleswig-Holstein.