FDP und Wirtschaftsforscher werben für kanadisches Modell. Einer Umfrage zufolge sind Türken bei deutschen Jugendlichen unbeliebt.

Berlin. Die Einführung eines Punktesystems für eine gesteuerte Zuwanderung erhält immer mehr Zuspruch. Nachdem sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, für ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas ausgesprochen hatten, warb gestern auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner für dieses Modell. Er plädierte für ein Punktesystem, um die Zuwanderung gezielt an den Interessen des Arbeitsmarkts zu orientieren. Neben der beruflichen Qualifikation könnten dabei die Sprachkenntnisse eines Zuwanderers berücksichtigt werden, sagte er im Deutschlandfunk. Darüber hinaus müsse die Einkommensgrenze für qualifizierte Einwanderer, die Bedingung für den Zuzug ist, gesenkt werden.

Wer in Kanada auf Dauer arbeiten und leben will, der muss bei den kanadischen Einwanderungsbehörden ein Punktesystem durchlaufen. Bewertet werden dabei Bildungsstand, Alter, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Anpassungsfähigkeit des Bewerbers. Extrapunkte bekommen diejenigen, die einen Arbeitsvertrag oder eine Jobzusage von einem kanadischen Arbeitgeber haben. Insgesamt können so maximal 100 Punkte erreicht werden.

Ein Befürworter dieses Punktesystems ist auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann. Gegenüber dem Abendblatt kritisierte er, dass das Punktesystem zwar bei der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes diskutiert worden sei, aber nicht umgesetzt wurde. "Die Nichtberücksichtigung war ein Fehler, denn ein Punktesystem brächte die klare Botschaft: Deutschland ist ein Zuwanderungsland, wir brauchen Fachkräfte, und die Aufenthaltsberechtigung ist klar und fair geregelt", sagte Zimmermann. Das Punktesystem orientiere sich ja gerade an Kriterien wie Ausbildung, Alter, Sprachkenntnisse und Integrationsbereitschaft, erklärte der DIW-Präsident.

Zimmermann sprach sich erneut dafür aus, jährlich 500.000 mehr Einwanderer in Deutschland aufzunehmen. Darunter seien dann auch die "dringend benötigten Fachkräfte". Er monierte zugleich, dass Deutschland seit einigen Jahren netto eine Auswanderung habe. "Mehr Menschen verlassen uns, als zu uns kommen. Deshalb wird es für unsere Wirtschaft und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme bald sehr eng." Auch die Arbeitgeber warnten davor, mit der Zuwanderungsdebatte dringend benötigte ausländische Fachkräfte zu vergraulen. "Wir sind alle verpflichtet, die Diskussion so zu führen, dass negative Auswirkungen auf Interessenten anderer Länder nicht entstehen", sagte Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt.

Unterdessen rief der türkische Europaminister Egemen Bagis seine Landsleute in Deutschland und alle Deutschen türkischer Herkunft zu einer besseren Integration auf. "Lernt Deutsch! Passt euch den Sitten und Gebräuchen eures Gastlandes an", appellierte Bagis in der "Bild"-Zeitung. Außerdem forderte er die türkischstämmigen Migranten in Deutschland auf, ihre Kinder "auf die besten Schulen" zu schicken, "damit sie eine Zukunft haben".

Der Minister rief überdies zur Achtung der in Deutschland geltenden Gesetze auf. "Denn wenn 'Ali' oder 'Achmed' Schlimmes tun, werden die Menschen nicht nach Namen suchen. Sie werden sagen: 'Der Türke war's!'"

Zeitgleich mit dem Appell des Ministers erschien eine Umfrage , wonach sich junge Türken Kontakt zu Deutschen wünschen, dagegen Türken bei deutschen Jugendlichen eher unbeliebt sind. Laut der Studie eines Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen, aus der die "Süddeutsche Zeitung" zitierte, gaben 40,9 Prozent der Türken an, sie fänden deutsche Nachbarn "sehr angenehm". Umgekehrt sagten dies nur 9,2 Prozent der Deutschen über Türken in der Nachbarschaft. 16,3 Prozent der Türken sagten, sie fänden deutsche Nachbarn "angenehm". Neun Prozent lehnten deutsche Nachbarn ab. Hingegen mögen mehr als 38 Prozent der Deutschen keine türkischen Nachbarn. 23,8 Prozent sagten, sie fänden sie "sehr unangenehm", 14,3 Prozent "unangenehm". Türken sind vor Osteuropäern die unbeliebtesten Ausländer. Das Institut hat aber auch Hinweise auf "Deutschenfeindlichkeit" bei türkischen Jugendlichen. 23,7 Prozent sagten, sie hätten schon einmal einen Deutschen beschimpft, und 4,7 Prozent sagten, sie hätten schon einmal absichtlich einen Deutschen geschlagen.