Cemal Karakas, 37, deutsch-türkischer Politologe von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Hamburger Abendblatt:

1. Wie einflussreich ist der türkische Europaminister Egemen Bagis, der seine Landsleute und alle Deutschen türkischer Herkunft aufgefordert hat, sich besser zu integrieren?

Cemal Karakas:

Seine Stimme wird gehört. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass die offizielle Regierungsseite in der Türkei zu Integration aufruft. Die Integrationsdefizite gibt es, keine Frage. Aber Integration ist keine Einbahnstraße. Auch das Gastland muss eine gewisse Integrationswilligkeit zeigen. Niemand redet darüber, wie vielen Diskriminierungen Türken noch immer ausgesetzt sind. Inzwischen verlassen viele türkischstämmige Akademiker Deutschland, weil sie keine Jobs bekommen, die ihrer Qualifikation entsprechen. Oder versuchen Sie nur mal, mit einem türkischen Namen eine Wohnung zu bekommen.

2. Wie ernst ist Erdogan zu nehmen, der einst gesagt hat, Assimilation sei ein Verbrechen?

Karakas:

Da kann man geteilter Meinung sein. Ich finde, man muss klar zwischen Assimilation und Integration unterscheiden. Assimilation ist, wenn man versucht, seinen türkischen Namen einzudeutschen oder als Moslem anfängt, Schweinfleisch zu essen. Wenn man versucht, unsichtbar zu werden. Mit einem liberal-demokratischen Verständnis ist das schwer vereinbar.

3. Warum werden bei Integrationsdefiziten immer wieder türkische Zuwanderer genannt?

Karakas:

Weil sie auffallen - rein optisch schon. Fünf Frauen mit Kopftuch auf der Straße fallen auf. Italienerinnen fallen optisch nicht auf. Außerdem stellen Türken und Deutsche türkischer Herkunft mit 2,5 Millionen Menschen die größte Zahl der Migranten in Deutschland.

4. Was sind die Probleme der türkischen Migranten?

Karakas:

Aus Sicht der Türken ist es Diskriminierung, aus Sicht der Deutschen Integrationsunwilligkeit. Es gibt drei Brüche in der deutschen Türkeipolitik: keine Arbeitnehmerfreizügigkeit, kein kommunales Wahlrecht und die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft. Nicht zu vergessen die ausländerfeindlichen Übergriffe von Solingen oder Mölln. All das war der Integration nicht zuträglich.

5. Was sind Voraussetzungen für das Gelingen der Integration?

Karakas:

Die Kritik, dass viele Migranten unzureichend Deutsch sprechen, ist zwar berechtigt, aber sie ist nicht allein der Schlüssel für eine bessere Integration. Ich finde es wichtiger, das Grundgesetz zu achten. Viele türkische Jugendliche sprechen wunderbar Deutsch, missachten aber das Grundgesetz - etwa die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man die Gesetze des Landes achtet, in dem man lebt.