Ex-Ministerpräsident Roland Koch schreibt der Kanzlerin in seinem neuen Buch “Konservativ“ vor, wofür die CDU mehr kämpfen sollte.

Berlin. Von Angela Merkel weiß man inzwischen, dass sie "mal liberal, mal christlich-sozial, mal konservativ" ist. So beschrieb sie sich im Frühling 2009 in einer Talkshow. Im Nachsatz sagte Merkel: "Und das macht die CDU aus." Hätte Roland Koch, der konservative Vollblutpolitiker, damals neben der Kanzlerin gesessen, es hätte ihn vermutlich kaum auf dem Stuhl gehalten. Zumindest auf dem Stuhl des hessischen Ministerpräsidenten hielt es ihn danach nicht mehr lange. Seit einem Monat ist Koch Politpensionär , demnächst gibt er auch das Amt des stellvertretenden CDU-Chefs ab. Als Jobbeschreibung passt nur noch: Buchautor.

So war es vielleicht eine der letzten Begegnungen überhaupt zwischen der Bundeskanzlerin und Koch am gestrigen Morgen in einer Berliner Großbuchhandlung. Diese Begegnung hatte Koch sich gewünscht. Der 52-Jährige weiß nur zu gut, welche Rolle er für die CDU gespielt hat. Also überlegte er sich, zu seinem Abschied ein Buch zu schreiben, es "Konservativ" (Herder-Verlag) zu nennen und die "mal konservative" Merkel zu bitten, es vorzustellen.

Man könnte dahinter eine Boshaftigkeit vermuten. Unter Politikern ist es schick geworden, den politischen Gegner zu bitten, das eigene Buch vorzustellen. Und Koch und Merkel gelten nun mal als Rivalen. Doch bei dem Vorstellungstermin wurde auch klar: Sie waren einmal Rivalen. Um Macht geht es Koch nicht mehr. Vom früheren Regierungschef heißt es, er habe aus mangelnder Perspektive für höhere Weihen die Lust an der Politik verloren. Und höhere Weihen bedeuten für einen wie Koch: CDU-Chef und Kanzler.

Wenn es schon nicht die Macht und die Ämter werden durften, die Koch einmal anstrebte, dann will er jetzt wenigstens die Deutungshoheit über ein Thema gewinnen, das die Partei bewegt und für das Koch wie kaum ein anderer steht. Und Merkel schien ihm gestern dafür dankbar zu sein. Sie lobte sein Buch als "interessant, spannend" und bescheinigte ihrem Noch-Vize, den "intellektuellen Überbau" für eine der drei Wurzeln der CDU geliefert haben. Wie die beiden anderen, die christlich-soziale und die liberale, müsse sich auch die konservative Wurzel der Christdemokraten artikulieren. Und Koch artikuliert in dem Buch seinen Frust, wenn es um das konservative Profil der CDU geht. "Die Konservativen leben noch. Aber sie wissen nur nicht mehr so genau, warum", schreibt er. "Konservative sind heute nicht heimatlos, aber planlos." In den Worten steckt Verbitterung und der Eindruck, Koch selbst habe sich von der CDU, wie er sie heute wieder vorfindet, entfremdet.

Beim Auftritt mit der Kanzlerin wollte er das so natürlich nicht sagen. Schließlich ging es da vielmehr um gemeinsame Vorstellungen. Und von denen fand Merkel viele in Kochs Werk. Beim Thema Familie liege sie ganz auf seiner Linie. Die CDU müsse wieder ein deutlicheres Bekenntnis zur Ehe abgeben, stimmte sie zu. Und auch bei der Umweltpolitik stellte sie sich auf Kochs Seite, der der CDU vorwirft, die Umweltpolitik nicht ausreichend als Nachhaltigkeitspolitik formuliert zu haben. Und dass das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginne, schreibe Koch zu Recht, fand Merkel. Der Mensch entwickle sich nicht zum Menschen, sondern sei Mensch von Anfang an. "Das ist auch mein Menschenbild", stellte die Kanzlerin klar.

Kaum hatte Merkel das Buch vorgestellt, sah sich Koch genötigt, einiges klarzustellen: Ein solches Buch sei natürlich nur in einer neuen Situation zu schreiben gewesen. Sonst hätte es den Verdacht gegeben, er hätte noch etwas werden wollen. Den Verdacht gab es gestern dennoch. Er habe sich gut überlegt, aus der Politik auszusteigen, sagte Koch. "Ich werde meine Entscheidung nicht korrigieren." Die Diskussion über eine mögliche Nachfolge des erneut länger erkrankten Finanzministers Wolfgang Schäubles nannte Koch "angesichts von Lebensleistung und Lage des Betroffenen unangemessen". Schäuble habe Anspruch auf eine andere Form des Umgangs.

Wenn es noch Zweifel gab an Kochs Abschied aus der Politik: Gestern waren sie wohl endgültig ausgeräumt. Koch, der immer ein Konservativer und nicht nur "mal konservativ" sein wollte und der traditionellen Unions-Wählerschaft eine Identifikationsfigur war, will nicht mehr. Dass er eine Lücke reißt, das wollte Koch aber nicht bestätigen. Trotz der personellen Umbrüche in der CDU sehe er keinen Anlass zur Sorge, dass künftig Konservative in der Partei fehlten, sagte er. Die neuen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, David McAllister und Stefan Mappus liefen nicht schreiend davon, wenn man sie nach ihrer konservativen Grundhaltung befrage. Deshalb glaube er, dass die Konservativen in der CDU "eher mehr werden und nicht weniger". In der Partei vermisst man Koch trotzdem. Ginge es nach der Mehrheit der CDU-Anhänger, sollte Koch seine politische Karriere noch nicht beenden. 55 Prozent wünschen sich für ihn künftig eine wichtige Rolle in der Politik, wie eine aktuelle Umfrage ergab. Koch wird die Erhebung zur Kenntnis genommen haben. Er hat sich vorerst für eine neue Rolle entschieden - als Autor.