Nach monatelangen Debatten verabschiedet die Bundesregierung ihren Plan und erntet wegen längerer Laufzeiten heftige Kritik

Berlin. Gleich fünf Minister hat die Bundesregierung gestern aufgeboten, um ihr neues Energiekonzept der Öffentlichkeit zu präsentieren - und zu loben. "Es ist ein Meilenstein in der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes", sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach der Verabschiedung des Energiepakets im Kabinett. "Dieses Konzept wird unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft positiv beeinflussen." Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) verteidigte die darin verankerte Laufzeitverlängerung für Reaktoren: "Atomkraft leistet einen Beitrag, nicht mehr und nicht weniger." Beide Minister wurden begleitet von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Die Umweltschutzorganisation WWF nannte das Energiekonzept dagegen einen Wegweiser "in die klimapolitische Sackgasse", der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sprach von einer Mogelpackung. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte den Maßnahmenkatalog. "Herr Brüderle schustert den Energiekonzernen 100 Milliarden Euro zu", sagte er in der ARD. Gabriel bekräftigte, seine Partei werde gegen die Laufzeitverlängerung vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Vertreter der Wirtschaft äußerten sich vorsichtig positiv zu dem Konzept. Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Wichtig ist, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der zahlreichen im Konzept skizzierten Maßnahmen strikt darauf achtet, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen nicht gefährdet wird." Werde es beispielsweise bei der Ökosteuer zu kompliziert oder zu teuer für die Unternehmen, würden Standortverlagerungen und Arbeitsplatzverluste drohen, sagte Driftmann.

Das Kabinett einigte sich gestern auf folgende Punkte:

Atomkraftwerke sollen im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz bleiben, als nach dem rot-grünen Atomausstieg vorgesehen. Die Zusatzgewinne der Betreiber der Atommeiler sollen teilweise abgeschöpft werden. Ein Element dazu ist die auf sechs Jahre befristete Brennelementesteuer, zudem sollen die Stromkonzerne mehrere Jahre lang in einen Fonds für erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz einzahlen.

Erneuerbare Energien, vor allem die Windenergie auf hoher See, sollen ausgebaut werden. Dazu soll es ein Fünf-Milliarden-Euro-Kreditprogramm für die ersten zehn Offshore-Windparks und Ausfallgarantien für Investoren geben. Auch an Land soll es mehr Windräder geben. Ebenfalls ausgebaut wird die Nutzung von Biomasse. Zudem sollen die Stromnetze ausgebaut und Speichertechnologien entwickelt werden.

Bei der energetischen Gebäudesanierung soll bis 2050 der Primärenergiebedarf auch von Altbauten um 80 Prozent verringert werden. Dabei setzt die Regierung vor allem auf Anreize durch staatliche Förderung. Einen Sanierungszwang soll es nun doch nicht geben

Auch beim Energieverbrauch von Autos wurde auf Vorgaben verzichtet. Bis 2020 soll es eine Million Elektroautos geben, bis 2030 sechs Millionen.

Die deutschen Treibhausgasemissionen sollen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent, verglichen mit dem Stand von 1990, sinken. Bis 2020 sollen 18 Prozent der Energie erneuerbar erzeugt werden, bis 2050 soll der Anteil schrittweise auf 60 Prozent steigen. Bei Strom ist 2020 ein erneuerbarer Anteil von 35 Prozent vorgesehen, 2050 von 80 Prozent.

Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bewertet das Vorhaben zwiespältig. Positiv sei, dass man sich auf langfristige Ziele wie die CO2-Reduzierung um 80 Prozent und den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent bis 2050 geeinigt habe, sagte Kemfert dem Abendblatt. Für problematisch hält sie vor allem die Rolle, die die Regierung der Kohle bei der Stromerzeugung zuerkennt: "Der Kohleanteil hätte deutlich heruntergefahren werden müssen." Tatsächlich fordert das Konzept nun auf, in flexible Kohle- und Gaskraftwerke zu investieren.

"Schade ist, dass man im aktuellen Energiekonzept von den angestrebten Zielen bei der Gebäudesanierung abgewichen ist", sagte Kemfert. "Man hätte die Sanierungsförderung viel stärker erhöhen müssen, auf gut fünf Milliarden Euro pro Jahr." Dadurch schütze man das Klima und schaffe Arbeitsplätze.