Hat die SPD ihre Linie in dem Milliarden-Projekt geändert? Die Polizisten fühlen sich „am Ende“, Wachen müssen aus Personalnot schließen.

Stuttgart. Sie stehen zwischen Baggern und aufgebrachten Bürgern. Beinahe jeden tag gibt es massive Proteste. Die verhärteten Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern des Milliardenprojekts Stuttgart 21 machen der Polizei zu schaffen. „Beiden Seiten müssen ohne große Vorbedingungen aufeinander zugehen, weil die Folgen dieses Hickhacks die Polizei ausbaden muss“, sagte der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Rüdiger Seidenspinner, der Nachrichtenagentur dpa.

Die Polizei sei personell „am Ende“. „Der Bürger steht jetzt schon vor verschlossenen Polizeiposten“, betonte Seidenspinner. Dies werde sich mit wachsendem Protest der Gegner des Bahnprojekts verstärken . „Der Bürger muss eventuell auch in Kauf nehmen, dass die Polizei ihre verstärkte Präsenz zum Schuljahresbeginn diesmal einstellt.“ Die Belastungen im Zusammenhang mit den Protesten um Stuttgart 21 führten zwangsläufig zum Personalkollaps.

Neben den zusätzlichen Überwachungsmaßnahmen von den aus der Sicherungsverwahrung freigelassenen Straftätern und den zahlreichen Fußball-Bundesligaspielen im Land würden die Einsätze am Hauptbahnhof zur Dauerbelastung. „Da muss sich niemand wundern, wenn auch bei Polizeibeamten die Nerven blank liegen und es zu unschönen Szenen kommt“, betonte Seidenspinner mit Blick auf den Faustschlag eines Polizisten gegen eine Aktivistin.

Angesicht vielfältiger Aktionen der Gegner des Milliardenprojekts springe die Polizei immer ein Stück hinterher. „Manche Aktionen sind nicht von schlechten Eltern“, räumte Seidenspinner ein. „Wir sind immer in Zugzwang. Unsere Taktik ist, das Ding nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.“ An die Adresse der Demonstranten sagte Seidenspinner, sie dürften es nicht hinnehmen, dass die Proteste eskalieren. „Die Verantwortlichen aus der Politik und von der Bahn stehen nicht dazwischen. Die Polizei steht dazwischen.“

Ein Baumhaus, das von Gegnern des umstrittenen Bauprojekts Stuttgart 21 besetzt wurde, hat die Polizei geräumt. Wie die Polizei mitteilte, wurden vier Aktivisten von einem Sondereinsatzkommando auf den Bäumen gefasst und mit Körben an einem Hubsteiger zu Boden gelassen. Rund 100 Demonstranten waren den Besetzern zur Hilfe geeilt, einige bildeten zeitweise eine Sitzblockade um den Baum herum. Die Aktivisten in der Krone sollen sich nach Angaben der Sprecherin der Umweltorganisation Robin Wood, Kei Andrews, auch an den Baum gekettet haben.

Unterdessen hat SPD-Landeschef Nils Schmid bestritten, dass seine Partei mit ihrer Forderung nach einem Volksentscheid zu Stuttgart 21 eine Abkehr von dem Projekt vorbereitet. „Das ist kein Kurswechsel“, sagte Schmid. In der SPD gebe es aber die Überlegung, wie man die Bürger doch noch an der Entscheidung über das Bahnprojekt beteiligen könne. „Aber in der Sache bleibt die SPD bei der Unterstützung für das Projekt.“ Schmid zeigte sich überzeugt, dass sich die Bürger in einer Volksbefragung mehrheitlich für das Projekt aussprechen würden. „Wir haben gute Argumente und müssen uns vor dem Bürger nicht verstecken.“

Zuvor hatte der frühere SPD-Landeschef und Bundesminister Erhard Eppler gemeinsam mit anderen prominenten Parteimitgliedern eine Volksbefragung gefordert. Die Aktion ist nach Schmids Worten mit ihm abgestimmt gewesen. Die SPD-Fraktion will dazu am Mittwoch einen konkreten Vorschlag machen.

Die Bürger sollten die Chance bekommen, selbst zu entscheiden. Die Entscheidung „muss dann auch akzeptiert werden“, heißt es laut „Stern.de“ in dem von Eppler initiierten Aufruf. Bislang hat sich die SPD-Führung öffentlich für das Milliardenprojekt ausgesprochen. Es sieht vor, den Stuttgarter Hauptbahnhof für 4,1 Milliarden Euro in eine unterirdische Durchgangsstation umzubauen und an die geplante ICE-Neubaustrecke anzubinden.