Was der neue Bundespräsident leisten muss.

Wenige Stunden nach dem Rücktritt von Horst Köhler nannte die Bundeskanzlerin eine Eigenschaft, die den neuen Mann oder die neue Frau im höchsten Amt auszeichnen müsse: Bürgernähe. Die Bürger selbst würden nach der Debatte der vergangenen Wochen wohl Überparteilichkeit als wichtigstes Kriterium anführen.

Die erste Aufgabe des neuen Präsidenten wird allerdings sein, dem Amt die Würde wiederzugeben, die es mit dem beschämenden Rücktritt von Horst Köhler eingebüßt hat. Es bedarf eines Ingenieurs, der die Spitze des Staates zu rekonstruieren vermag, die auch durch die Amtsführung des Vorgängers beschädigt wurde. Deutschland braucht keine Gegenregierung im Bellevue, keinen Anti-Parteien-Präsidenten, dessen Beliebtheit sich aus Dauerkritik an den Regierenden speist. Niemanden, der die Verdrossenheit verstärkt und der Verächtlichmachung praktischer Politik den Boden bereitet. Deutschland braucht ein Staatsoberhaupt, das sich konstruktiv - gewissermaßen als erster Berater - an der Lösung der großen Aufgaben beteiligt, vor denen unser Land steht: Bildung, Integration, die Wirtschaftskrise.

Unbequem zu sein ist nicht die erste Qualifikation des Bundespräsidenten. Viel eher kommt es darauf an, Orientierung zu geben in schwieriger Zeit. Dies kann glaubwürdig geschehen, wenn das Staatsoberhaupt mitten im Leben steht. Deswegen mag die Kanzlerin auch auf Ursula von der Leyen gekommen sein. Der Reiz einer jungen Präsidentin, die vorlebt, dass sich Großfamilie mit politischem Erfolg verbinden lässt, hätte das Land beflügeln können. Doch von der Leyen, eine Ikone moderner Bürgerlichkeit, erschien undurchsetzbar in ihrer bürgerlich-konservativen Partei.

Gleichwohl entscheidet die Bundesversammlung an diesem Tag zwischen zwei Kandidaten, die - jeder auf seine Weise - einen wohltuenden Kontrapunkt zu Köhler setzen können. Christian Wulff, dessen Wahl aufgrund der Mehrheitsverhältnisse als wahrscheinlich gelten darf, hätte es dabei leichter als Joachim Gauck. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, der gefeiert wird wie Barack Obama vor der Wahl, kann die überhöhten Erwartungen kaum erfüllen. Der bisherige Ministerpräsident, der als personifizierte Mitte geschmäht wird, kann überraschen - etwa mit seinem Vorhaben, Denker bei sich zu versammeln und Bellevue zu einem kreativen Kraftzentrum der Republik zu machen. Leichter hätte es Wulff auch, weil er neben der Mechanik der Politik die Lebenswirklichkeit einer modernen Gesellschaft kennt. Das verbindet ihn mit Ursula von der Leyen.