Immer mehr Souveränität wird nach Brüssel übertragen. Bund und Länder einigen sich bei Fiskalpakt. Olaf Scholz lobt das Ergebnis.

Berlin. Die Deutschen werden nach Erwartung von Finanzminister Wolfgang Schäuble als Konsequenz aus der Euro-Schuldenkrise eher früher als später über eine neue Verfassung abstimmen müssen. Wenn immer mehr Souveränität nach Brüssel übertragen werde, seien irgendwann die Grenzen des Grundgesetzes erreicht, sagte der CDU-Politiker am Wochenende dem "Spiegel". Er sprach sich für einen Komplettumbau der EU-Institutionen aus, einschließlich eines direkt gewählten Präsidenten.

Wann es zu einer Volksabstimmung komme, wisse wohl keiner, sagte Schäuble. "Aber ich gehe davon aus, dass es schneller kommen könnte, als ich noch vor wenigen Monaten gedacht habe." Früher hätte er nicht damit gerechnet, dass es in fünf Jahren so weit sein werde: "Jetzt bin ich mir nicht mehr sosicher." Auf dem EU-Gipfel Ende dieser Woche wollten die Chefs von vierEU-Institutionen konkrete Vorschläge für eine vertiefte Integration vorstellen. "Danach werden wir sehen", sagte Schäuble. Auch die Berliner Mauer sei viel schneller gefallen, als er damalserwartet habe.

+++ Regierung hält an Fahrplan zu Fiskalpakt fest +++

Zur EU-Integration gibt es aus Sicht Schäubles keine Alternative. Bei einem Auseinanderbrechen des Euro - wovon er nicht ausgehe - bestehe die Gefahr, dass vieles infrage gestellt werde, vom EU-Binnenmarkt bis zur Reisefreiheit. Schäuble sprach sich für eine gemeinsame Haushaltspolitik und einen EU-Finanzminister aus. Außerdem plädierte er für eine Banken-Union mit Aufsicht über die größten Institute. Bei der Reform der Institutionen würde er neben dem vom Volk gewählten Präsidenten eine Stärkung des Parlaments und eine zweite Kammer mit Vertretern der Staaten befürworten.

Außerdem wird auf dem Gipfel diskutiert, wie es mit Griechenland weitergeht. Die neue griechische Regierung will mit Steuersenkungen und Hilfen für Arme und Arbeitslose die Folgen des Sparprogramms abmildern, zu dem sich das Land im Gegenzug für ein zweites Hilfspaket von 130 Milliarden Euro verpflichtet hatte. Der Plan sieht außerdem zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung der Reformauflagen vor. Herman Van Rompuy sagte der "Welt am Sonntag", mehr Zeit würde auch größere Anstrengungen der anderen Euro-Länder bedeuten. Schäuble forderte Athen auf, "schnell, umgehend und ohne zu zögern das vereinbarte Programm umzusetzen, anstatt schon wieder zu fragen, was denn die anderen noch mehr tun könnten".

Die Bundesregierung hat sich unterdessen mit den Ländern auf eine Zustimmung zum umstrittenen europäischen Fiskalpakt geeinigt. Die Bundesländer hatten für eine Zustimmung Gegenleistungen gefordert. Als Kompromiss wolle der Bund den Ländern bei den Sozialausgaben entgegenkommen, etwa bei den Eingliederungshilfen für Behinderte, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (SPD). Unter anderem gehe es um ein Paket von mehreren Milliarden Euro.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist mit der Einigung von Bund und Ländern beim Fiskalpakt zufrieden. „Das ist ein ordentliches Ergebnis“, sagte Scholz am Sonntagabend. Der Bund übernehme die Verantwortung für die Einhaltung der nationalen Verpflichtungen aus den Fiskalpakt. Die Länder seien wie bisher verpflichtet, das sich aus dem Grundgesetz ergebende Neuverschuldungsverbot ab 2020 einzuhalten. „Weitere Anforderungen ergeben sich für sie aus dem Fiskalpakt nicht“, betonte er. Außerdem habe der Bund seine Verantwortung für die kommunalen Finanzen akzeptiert. So stelle der Bund zusätzliche Mittel für den Krippenausbau zur Verfügung. Zudem würden die Kommunen erneut bei der Grundsicherung im Alter entlastet.

Mit einem knappen Ja der Delegierten zum Fiskalpakt ist die Grünen-Führung auf einem kleinen Sonderparteitag nur um Haaresbreite einer herben Niederlage entgangen. 40 der 78 Delegierten empfahlen den grün mitregierten Ländern und der Bundestagsfraktion, dem Pakt für Haushaltskonsolidierung in Bundesrat und Bundestag zuzustimmen. Damit setzte sich der Grünen-Vorstand nach turbulenter Debatte durch. Mit den Fraktionen von SPD und Grünen im Bundestag war sich die Koalition bereits am Donnerstag einig geworden. Am Freitag sollen Bundestag und Bundesrat abstimmen. In beiden Kammern ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. (HA/dpa)