Der schleswig-holsteinische FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki attackiert Parteichef Rösler. Die SPD vermisst die sozialliberale Haltung.

Berlin. In der liberalen Welt des Frühjahrs 2012, in der Spitzenfunktionäre längst offen vom Überlebenskampf ihrer Partei sprechen, sind vier Prozent schon ein gutes Zeichen. Es könnten ja auch drei sein oder zwei oder wie bei der Saarlandwahl nur 1,2 Prozent. Vier Prozent zeigen, dass es langsam besser wird für die FDP. So jedenfalls sieht es Wolfgang Kubicki, wenn er auf die Umfragen in Schleswig-Holstein und seine persönlichen Demoskopiewerte schaut. Aber vier Prozent sind einfach zu wenig. Am 6. Mai müssen es mindestens fünf sein, damit die FDP im Landtag überleben kann.

Doch da ist noch die Bundespartei, die nach Ansicht Kubickis alles falsch macht und keine Ahnung von Wählermobilisierung hat. Wenn es nicht mit der Parteispitze geht, dann eben ohne sie, scheint sich der Nordliberale gedacht zu haben - und schaltete zu Ostern auf Angriff. Ohne ihn nur ein einziges Mal beim Namen zu nennen, hat Kubicki Parteichef Philipp Rösler in "Bild am Sonntag" in einer Weise lächerlich gemacht, die geradezu nach einem Nachspiel ruft.

Der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat konnte nicht anders als zuzugeben, dass er mit Röslers Leitgedanken des "Wachstums" nichts anfangen kann. "So wie die FDP den Begriff Wachstum derzeit propagiert, können die Leute damit wenig anfangen. Was soll das denn sein? Familienwachstum? Haarwachstum? Wir müssen diese abstrakten Begriffe mit nachvollziehbaren Inhalten füllen."

Kubicki beklagte eine "unterirdische" Kommunikation der FDP mit den Bürgern: "Es ist gelungen, die FDP als kaltherzig, neoliberal, nicht mitfühlend darzustellen. Dazu haben wir aber auch einige Gelegenheiten geboten." Man müsse die FDP "neu denken", schlug er vor.

+++ Die Wahl der Spitzenkräfte +++

Nicht erst am 6. Mai, sondern schon in knapp zwei Wochen könnte Rösler sein Wachstumsbegriff auf öffentlicher Bühne um die Ohren gehauen werden. Beim Bundesparteitag in Karlsruhe will Kubicki gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Spitzenkandidaten Christian Lindner den Delegierten erklären, wie sie sich die neue FDP vorstellen. Kubickis Ansage ist mehr als die übliche Kritik an der Parteiführung. Diesmal riecht es nach einem inhaltlichen Putschversuch, der Rösler nachhaltig beschädigen und seinen weiteren Verbleib im Amt erschweren könnte. Kubicki jedenfalls stellte fest, er habe in 41 Jahren Parteimitgliedschaft "noch keine Phase erlebt, in der die FDP so lange in den Umfragen unter fünf Prozent gelegen ist".

Vom "neuen Denken" Kubickis und Lindners will Rösler nichts wissen. Vielmehr nimmt er für sich in Anspruch, die FDP "inhaltlich neu ausgerichtet" zu haben. So sagte er es der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und nahm das Gespräch mit der Zeitung zum Anlass, seinem Vorgänger Guido Westerwelle ausdrücklich einen mitzugeben.

"Die FDP hat sich zu lange auf das Thema Steuersenkung reduziert", so der Bundeswirtschaftsminister. Den Liberalismus auf die Formel "mehr Netto vom Brutto" zu verkürzen sei zu wenig gewesen. "Deshalb habe ich die Partei inhaltlich neu ausgerichtet."

Davon merkt zumindest die Opposition nichts. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sprach von einem billigen Versuch Röslers, sich auf Kosten seines Vorgängers zu profilieren. Seit der Amtsübernahme Röslers habe sich aber bei der FDP nichts geändert. SPD-Vizechefin Manuela Schwesig sagte dem Abendblatt, die FDP habe in den vergangenen zweieinhalb Jahren bewiesen, dass sie auf der Regierungsbank nichts verloren habe. "Was die FDP einmal ausgezeichnet hat, war ihre sozialliberale Haltung. Davon ist nichts mehr übrig."

+++ Scharfe Kritik: Kubicki greift FDP-Spitze an +++

Unbeeindruckt zeigte sich die Opposition auch von Röslers Werben um eine höhere Pendlerpauschale. Der FDP-Chef ließ dennoch nicht locker: "Steigen die Spritpreise, dann steigen auch Einnahmen des Staates durch die Umsatzsteuer", sagte er. "Zur Seriosität gehört dazu, dass wir zunächst einmal erheben, welche Mehreinahmen der Staat durch die gestiegenen Benzinpreise erzielt." Das könne dann eine Grundlage für die höhere Pendlerpauschale sein. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte den Vorschlag ab. Vieles deutet darauf hin, dass auch dieser Versuch Röslers "zu liefern", danebengeht. Ähnlich war es seiner Forderung nach der Abschaffung der Praxisgebühr ergangen. Die Liberalen haben angesichts des Neins der Union inzwischen aufgegeben, darüber zu sprechen.

Auch die Piraten arbeiten seit ihren Erfolgen in Berlin und im Saarland mit Hochdruck daran, die Wirkungskraft der FDP zu minimieren. Ihr Vizechef Bernd Schlömer forderte seine Partei auf, sich verstärkt um das FDP-Thema schlechthin - die Wirtschaftspolitik - zu kümmern. Den WAZ-Zeitungen sagte Schlömer, die Wirtschaftspolitik werde auf dem Parteitag Ende April ein Schwerpunkt sein. Aber auch der Weg zu ein bisschen mehr FDP und ein bisschen weniger Protestpartei ist steinig.

Parteichef Sebastian Nerz musste nun Forderungen aus der Parteiführung ablehnen, Vorstandsmitglieder zu bezahlen. "Selbst wenn wir es wollten, derzeit verfügt die Partei gar nicht über ausreichend Geld, um den Vorständen einen regulären Lohn zu zahlen", sagte er der Zeitung "Sonntag Aktuell". SPD-Vize Schwesig nahm den Männerüberschuss aufs Korn. Bei den Piraten kämen Frauen kaum vor. "Das entspricht nicht meinen Vorstellungen von einer jungen, modernen Partei." Schwesig sagte weiter: "Die Piraten werden sich den Inhalten stellen müssen. Sie werden nicht dauerhaft mit der Haltung durchkommen, keine Meinung zu wichtigen Themen zu haben." Immerhin, solche Sorgen hat die FDP noch nicht.