Streit um Milliardenüberschüsse der Krankenversicherung eskaliert. Gesundheitsminister Garg wirft Union Inkompetenz vor.

Hamburg/Berlin. Aus dem Streit um die Milliarden-Überschüsse der gesetzlichen Krankenkassen ist eine veritable Belastung für die Regierungskoalition geworden. Dabei geht es vordergründig um den Weg, ob und wie die Versicherten entlastet werden können. Nach dem kategorischen Nein von Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zu einer Prämie oder dem Abschaffen der Praxisgebühr vergleicht Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister und FDP-Landeschef Heiner Garg das Verhalten von CDU und CSU im Hamburger Abendblatt mit einer "Wirtshaus-Schlägerei". Mit Blick auf die Union sagte Garg weiter: "Keine Ahnung von der Sache, aber voll auf Konfrontation."

Die Union müsse den Menschen erklären, warum sie als einzige Partei in Deutschland das wirkungsloseste Instrument - die Praxisgebühr - seit vielen Jahren verteidige. "CDU und CSU sind komplett isoliert in dieser Frage", sagte Garg. Auch sei die Vorstellung von Rot-Grün aus dem Jahr 2004, mit der Einführung der Praxisgebühr in Deutschland die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte auf ein europäisches Mittelmaß zu reduzieren, "grandios gescheitert". Garg warf CDU und CSU vor, "die beleidigte Leberwurst" zu spielen, weil die FDP eine eigene Meinung in der Frage der Bundespräsidentenwahl gehabt habe. "Deshalb gönnt sie einem FDP-Gesundheitsminister jetzt keinen Erfolg. Das kann ich nicht fassen." Garg rechnete vor, dass das Milliardenpolster in den Krankenkassen bei der Abschaffung der Praxisgebühr sich nur um zwei Milliarden Euro verringern würde. Der Gesundheitsminister wies auch darauf hin, dass nur knapp die Hälfte der zehn Euro Gebühr wieder bei der Patientenversorgung ankomme. "Der Rest versickert im Erhebungsaufwand."

+++ Praxisgebühr streichen +++

Die Abschaffung der Praxisgebühr wäre ein Weg, den Patienten Geld zurückzuerstatten, das sie als Beiträge gezahlt haben. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat ebenfalls Sympathie für den Vorschlag gezeigt. Auch die Linken stehen der Abschaffung der vierteljährlichen Zahlung positiv gegenüber. Parteichefin Gesine Lötzsch sagte, die Praxisgebühr belaste vor allem weniger wohlhabende Menschen, die sich den Arztbesuch zweimal überlegen würden. Dadurch würden möglicherweise notwendige Behandlungen verzögert.

Die Grünen sind noch unentschieden, welchen Weg sie vorziehen. Parteichef Cem Özdemir sagte, er könne sich aber auch eine Sonderzahlung vorstellen. Die schwebt im Prinzip auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vor. Nach geltendem Recht können Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben, aber auch Prämien auszahlen. Einige Kassen tun das. Andere wie die DAK Gesundheit nutzen die gute Konjunktur, um sich zu sanieren und den Zusatzbeitrag abzuschaffen.

Aus der Union hatte zuletzt Fraktionschef Volker Kauder (CDU) einen Vorschlag für die Verwendung der Überschüsse gemacht: So solle der bundesweit einheitliche Krankenkassenbeitrag von 15,5 Prozent auf 15,4 Prozent gesenkt werden. Dadurch würden auch Arbeitgeber entlastet. Allerdings würde dabei selbst ein Topverdiener höchstens 3,80 Euro im Monat sparen.

+++ Volker Kauder gegen die Abschaffung der Praxisgebühr +++

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) liebäugelt mit einem Absenken des sogenannten Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds, aus dem die Krankenkassen ihr Geld bekommen. Diese 14 Milliarden sind jedoch für die kostenlose Mitversicherung von Ehepartnern und Kindern vorgesehen. Daran zu rütteln wäre ein Tabu.

Allerdings ist im Fonds auch eine Reserve für den Sozialausgleich vorgesehen. Dieses Geld wird vermutlich nicht benötigt, weil die von vielen Kassen eingeführten Zusatzbeiträge wieder gestrichen wurden. Experten und Kassenvorstände warnen vor einem Angriff auf die Reserve. Im Abendblatt hatten Barmer-GEK-Chef Christoph Straub sowie der TK-Vorstandsvorsitzende Norbert Klusen gesagt, die Ausgaben würden sicher wieder steigen. Deshalb würden die Milliardenreserven vermutlich bald schrumpfen.

Klusen sagte: "Ich würde nichts lieber tun, als an unsere Versicherten eine Prämie auszuzahlen. Die Versicherten müssten diese Prämie aber versteuern. Wir geben unseren Versicherten das Geld lieber über Leistungen zurück und über die Beitragsstabilität." Die Versicherten seien tendenziell dafür, dass sie auch in Zukunft keinen Zusatzbeitrag zahlen müssen. Das hätten Befragungen ergeben.

Auch DGB-Vize und Gesundheitsexpertin Annelie Buntenbach sagte: Wenn die Konjunktur wieder schlechter laufe, "schmelzen die Überschüsse wie Schnee in der Sonne".

+++ Was passiert mit dem Milliarden-Überschuss der Krankenkassen? +++

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte, die Praxisgebühr sei ein reines Abkassiermodell. "Die Abschaffung der Praxisgebühr wäre der vernünftigste Weg, die Versicherten schnell an den Milliardenüberschüssen der Kassen zu beteiligen." Auch bei Hamburgs niedergelassenen Ärzten regt sich Unmut. Wie die Kassenärztliche Vereinigung (KV) errechnete, seien der ambulanten Versorgung während der vergangenen fünf Jahre im Vergleich zur Bundesentwicklung 50 Millionen Euro vorenthalten worden. In derselben Periode sei der Behandlungsbedarf aber angestiegen.

"Das Geld ist bei den Krankenkassen vorhanden", sagte Michael Späth, der Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Hamburg. Die Mittel sollten für die medizinische Versorgung eingesetzt werden. Späth sagte, den Praxen sei ein Sparbeitrag abverlangt worden, weil ein milliardenschweres Defizit der Krankenkassen erwartet wurde. "Das Gegenteil ist eingetreten."