Grünen-Fraktionschefin Renate Künast über die Folgen der Katastrophe in Fukushima und Chancen bei der Wahl in Schleswig-Holstein.

Berlin. Der Kampf gegen die Atomenergie ist mit keiner Partei so sehr verbunden wie mit den Grünen. Im Interview mit dem Abendblatt erklärt Fraktionschefin Renate Künast, warum die Energiewende aus ihrer Sicht längst nicht so gut umgesetzt wird, wie es eigentlich sein müsste.

Hamburger Abendblatt: Frau Künast, war der 11. März 2011 ein guter Tag für grüne Politik?

Renate Künast: Das war ein trauriger Tag. Und wir sollten auch jetzt zum Jahrestag an die betroffenen Menschen der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan denken. Tausende Menschen haben Haus und Heimat verloren, sind evakuiert, die Region ist im großen Umkreis um die Reaktoren auf Dauer unbewohnbar, die langfristigen gesundheitlichen Folgen sind noch nicht abzuschätzen. Das ist einfach traurig.

Keine Partei hat bis zur Katastrophe von Fukushima derart vehement auf die Gefahren der Atomkraft hingewiesen wie die Grünen. Entwickelt sich aus so einem Ereignis nicht auch Genugtuung?

Künast: Nein. Am besagten Wochenende hatte ich ein ganz anderes Gefühl. Ich habe damals fast das ganze Wochenende vor dem Fernseher verbracht. Ich war in Angst. Ich fürchtete, dass auch Tokio noch evakuiert werden müsste. Geärgert habe ich mich aber über Stimmen, die schon Stunden später das Ausmaß des Reaktorunglücks in Fukushima kleinreden wollten.

Haben Sie damals geahnt, dass die Kanzlerin dann ihren Pro-Atom-Kurs so schnell aufgeben würde?

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Künast: Nein, das habe ich nicht geahnt. Denn die Kanzlerin hat als Physikerin auch schon vor Fukushima wissen müssen, dass das Wort Restrisiko keine prozentuale Größe, sondern eine technische Wahrscheinlichkeit ist. Es wäre auch für unser Land gut gewesen, wenn Frau Merkel mit ihrem Wissen ihren ideologischen Feldzug für die Atomkraft viel früher als fatalen Irrtum erkannt und auf erneuerbare Energien gesetzt hätte. Wir wären heute bei der Energiewende viel weiter, wenn Merkel und die gesamte Union nicht jahrelang blockiert hätten.

Mit der Energiewende hat die Kanzlerin die rot-grünen Beschlüsse überholt. Wie glücklich sind Sie mit der Energiepolitik?

Künast: Die hat unsere Beschlüsse nicht überholt, sondern musste ihre größte politische Fehlleistung vom Herbst 2010 zurücknehmen, die Atomlaufzeiten zu verlängern. Die Bundesregierung arbeitet nicht an der Energiewende, sondern gegen sie. Auch Teile der Wirtschaft fürchten inzwischen, dass Merkel eines Tages sagt: Seht ihr, wir brauchen doch die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke. Ein letzter Beweis sind die unverhältnismäßigen Abstriche bei der Solar-Förderung. Das läuft auf eine systematische zweite Deindustrialisierung der neuen Bundesländer hinaus. Da hängen Hunderttausende Jobs dran. Dieses Vorhaben ist nicht nur klimapolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch unvernünftig.

Sehen Sie die Rolle rückwärts der Kanzlerin schon kommen?

Künast: Ich stelle erst mal fest, dass den großspurigen Ankündigungen einer Energiewende keine auch nur halbwegs ehrgeizige Reformpolitik gefolgt ist. Ständig werden der Energiewende Bremsklötze angelegt, sei es beim Ausbau der Erneuerbaren, bei der Energieeffizienz oder bei der Gebäudesanierung. Von den notwendigen 1800 neuen Netzkilometern sind bisher nur 214 Kilometer gebaut worden. Die Bundesregierung scheut sich nicht einmal, den von ihr benannten deutschen EU-Energiekommissar Oettinger auszubremsen. Für ein Land, das in der EU gerne als Vorreiter beim Klimaschutz auftritt, ist es blamabel, wenn es sich gegen strenge Vorgaben aus Brüssel zur Energieeinsparung sperrt. Mich ärgert, dass wir momentan die Schaffung von Hunderttausenden Arbeitsplätzen versäumen, weil wir nicht genug in energiepolitische Innovationen investieren.

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Wo macht Wahlkampf mehr Spaß - im Saarland oder in Schleswig-Holstein?

Künast: Wahlkampf macht mir überall Spaß, wenn es um die Grünen geht. Im Saarland stehen wir vor einer besonderen Situation. Dort steht das Ergebnis schon so gut wie fest - Große Koalition von CDU und SPD. Die Saarländer sollen nur noch darüber entscheiden, wer von beiden nachher das Kränzchen trägt. Das ist keine echte Wahl. Gegen diese Große Koalition des Stillstands treten wir an. Wir brauchen die Grünen im Landtag, damit Bewegung ins Land kommt und wenigstens eine Partei den Großen auf die Finger klopft - angefangen von Bildung über Energie bis hin zur Haushaltspolitik.

Daraus schließen wir, dass der Wahlkampf im Norden mehr Spaß macht - immerhin gibt es da eine Regierungsoption.

Künast: In Schleswig-Holstein ist die Frage der Regierungsbildung offener, da haben Sie recht. Da geht es um die Ablösung von Schwarz-Gelb und wir haben da sehr gute Chancen auf einen Regierungseinzug.

Wären Sie unglücklich, wenn der grüne Spitzenkandidat Robert Habeck am Ende mit der CDU koalieren würde?

Künast: Die Koalitionsfrage wird nicht in Berlin entschieden, sondern vor Ort nach inhaltlichen Gründen. Wir Grüne entscheiden nach dem Kriterium, wie wir unsere Politik am besten umsetzen können. Robert Habeck hat klar gesagt, dass er das erste Gespräch mit der SPD führen will, wenn es rechnerisch für Rot-Grün reicht. Da sieht er die größte Übereinstimmung.

Ist die schwarz-grüne Option im Bund weiterhin "zu", wie Sie im Herbst verkündet haben?

Künast: Wir wollen den schwarz-gelben Stillstand im Bund beenden, und auch in Berlin zeichnen sich mit der SPD die größten Überschneidungen ab. Wir gehen als eigenständige Kraft in die Wahl und wollen nach der schwarz-gelben Klientelbedienung wieder eine Politik der klaren ökologischen und sozialen Werte umsetzen. Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren als eine der größten Infrastrukturmaßnahmen in der Geschichte unseres Landes begreifen und angehen. Die Euro-Krise bewältigen und dazu mit einer Vermögensabgabe auch stärkere Schultern heranziehen. Bildung endlich als eine Frage der Gerechtigkeit begreifen und das lähmende Kooperationsverbot beseitigen. Darum geht es.