Beim ersten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Kultusministern wurden Streitthemen vorsichtshalber ausgespart.

Berlin. So einen Termin hätte Gerhard Schröder seinerzeit wohl als Zumutung empfunden. Der Ex-Kanzler, von dem man weiß, dass er Lehrer für faule Säcke hielt und die Kultusministerkonferenz (KMK) am liebsten abschaffen wollte, hatte sich in den sieben Jahren seiner Kanzlerschaft kein einziges Mal zu den Länder-Fachministern für Bildungsfragen gesellt. Auch vor ihm hatte kein Regierungschef das für nötig gehalten.

Bei Angela Merkel ist es anders. Auch sind die Zeiten andere. Es ist Bewegung in die föderale Struktur gekommen. Die Debatte um sich angleichende Standards in Schulen und Hochschulen hat eine neue Relevanz bekommen. Die Bundeskanzlerin selbst hat vor Jahren die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen und das Thema zur Chefsache erklärt. Es wurde also Zeit, dass die Chefin sich zur Sache persönlich einbringt und die Kultusminister besucht. Dass diese Angelegenheit sogar "historisch" sei, befanden einige Beobachter. Dafür allerdings lief die Begegnung in den Räumen der Berliner KMK-Dependance wenig feierlich ab. Eine Arbeitssitzung eben.

+++ Abitur: Gleiche Aufgaben künftig in sechs Bundesländern +++

Merkel sprach rund anderthalb Stunden mit den Ressortchefs der 16 Länder, mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan und der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer (beide CDU). Später, als sie an der Seite des Hamburger Schulsenators Ties Rabe (SPD) , der in diesem Jahr der Kultusministerkonferenz als Präsident vorsteht, von der Runde berichtete, konzentrierte sie sich allein auf das Thema Integration. Und da keine Nachfragen erwünscht waren, entkam Merkel auch den momentanen Streitfeldern der KMK, die von der Frage des bundesweiten Abiturs bis hin zur Aufweichung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern reichen.

Man wollte von KMK-Seite offenbar auch keine Konflikte mit der Kanzlerin bei ihrem allerersten Besuch riskieren. Dann schon lieber über Integration sprechen. Und hier schlug Merkel vor, die Wirksamkeit des Bildungspakets - von dem Kinder mit Migrationshintergrund profitieren sollen - nach zwei Jahren zu überprüfen. Dann solle überprüft werden, was bei dem Teilhabepaket "gut gelaufen" sei, was bürokratisch sei oder schwerfällig. "Denn wir wollen natürlich mit diesem Geld für die betroffenen Kinder etwas erreichen." Das Bildungspaket für rund 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien gibt es seit gut einem Jahr. Es war im Februar 2011 mit der Hartz-IV-Reform beschlossen worden und bietet Zuschüsse für Schulmaterial, warme Mittagessen in Schule und Kita, Nachhilfe und Freizeitaktivitäten. Rabe sagte in Anwesenheit Merkels, einzelne Angebote würden nicht mehr ausreichen, um Kindern mit Migrationshintergrund Sprach- und Lernförderung zugutekommen zu lassen. Er verlangte feste Strukturen und hob den Wert von Ganztagsschulen hervor. Bevor es in weitere Gespräche mit den Ministerkollegen ging, sagte Rabe dem Abendblatt, dass der Besuch Merkels "in entspannter, offener Atmosphäre" stattgefunden habe und dass die Runde mit ihr "sehr konstruktiv" gewesen sei. Ob man sie jetzt öfter zur KMK einlade? Rabe blieb vorsichtig: "Gegen Dialog kann man nie etwas haben."

+++ Hamburg bekommt ein neues Zentralabitur +++

Gut möglich, dass dem Dialog mit der Kanzlerin heute eine Kontroverse innerhalb der Minister folgt. Der Länderdruck auf den Bund nimmt zu. Das Kooperationsverbot im schulischen Bereich aufzuweichen kommt aber für die Bundesbildungsministerin weiterhin nicht infrage. Sie sei zwar sehr dafür, dass auch endlich in der Bildungspolitik mehr Vergleichbarkeit kommt", sagte Schavan im ZDF. Dafür müssten die Länder allerdings selbst sorgen. "Der Bund ist dazu nicht notwendig." Nach den Plänen von CDU und FDP soll es eine intensivierte Zusammenarbeit nur auf Hochschulebene geben.

Die Opposition pocht dagegen weiter darauf, das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik auch im schulischen Bereich zu lockern. Auch Rabe gehört zu den Verfechtern einer verstärkten Zusammenarbeit. Er sah die Gespräche über ein bundesweites Abitur vor Beginn der Sitzung sogar kurz vor dem Durchbruch.

Rabe und anderen seiner Kollegen geht es darum, das Abitur deutschlandweit gleich schwierig zu machen. Dafür sollen die Standards in den Kernfächern, Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache vergleichbar werden. Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bayern und Sachsen planen bereits ein gemeinsames länderübergreifendes Abitur für 2014. Doch auch Parteifreunde Rabes wie der thüringische Bildungsminister Christoph Matschie warnten vor zu viel Optimismus: "Ein Zentralabitur am selben Tag mit denselben Prüfungsaufgaben stößt auf technische Probleme, schon wegen der unterschiedlichen Ferienzeiten", sagte Matschie. Er favorisiere bundesweit vergleichbare Bildungsstandards, die beschreiben sollen, was ein Schüler im jeweiligen Fach am Ende der gymnasialen Oberstufe können soll.