Merkel schließt ein Rohstoff-Abkommen mit dem Staatschef Nasarbajew. Ein Balanceakt zwischen Wirtschaftsinteressen und Moral.

Berlin. Astana ist wie eine Vision. Eine gigantische Stadt mitten in der zentralasiatischen Wüste, futuristisch, pompös, irrwitzig. Das größte Zelt der Welt steht hier, ein riesiger transparenter Bau des britischen Star-Architekten Sir Norman Foster. Es gibt eine große Pyramide mit verglaster Spitze und ein imposantes, fast hundert Meter hohes Monument, den "Lebensbaum". Fußläufig erreichbar ist von dort der Präsidentenpalast. Er sieht aus wie das Weiße Haus in Washington, nur größer und mit einer blauen Kuppel auf dem Dach. Die Straßen sind breit, die Blumenrabatten üppig. Astana, die Hauptstadt Kasachstans, ist demonstrativ repräsentativ. Ein Aushängeschild, das die Blicke auf sich ziehen soll.

Seit Astana 1997 zum Regierungssitz wurde, hat man es mit Milliarden von Petrodollars und auf Initiative des Präsidenten Nursultan Nasarbajew in eine Prunkstadt verwandelt. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks steht er an der Spitze des Landes, das zwar auf dem Papier Gewaltenteilung, Demokratie und Menschenrechte kennt, in Wahrheit aber nichts als ein autokratisches und zentralistisches Regime ist, ausgerichtet auf die Person Nasarbajews. Ausgestattet mit einer Fülle von Machtbefugnissen, bestimmt er den wirtschaftlichen und politischen Kurs des Landes; seine Verwandten und Vertraute hat er an den Schaltstellen der Macht positioniert. Heute ist er zu Gast in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Christian Wulff werden ihn offiziell empfangen, um ein neues Rohstoffabkommen zu unterzeichnen.

Nach ihrem China-Besuch in der vergangenen Woche, bei dem Merkel vor allem für den Euro warb, ist dies ein neuer Balanceakt zwischen Wirtschaftsinteressen und Moral. Denn für Nasarbajew bedeutet der Empfang auf rotem Teppich schöne Bilder. Ein gutes Image ist ihm wichtig. Immer wieder gibt es Meldungen über die brutale Unterdrückung und Verhaftung oppositioneller Politiker, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten. Über Repressionen gegen die Bevölkerung, die trotz der wirtschaftlichen Prosperität und des Prunks der Hauptstadt zu rund 20 Prozent unter der Armutsgrenze lebt. Denn eigentlich ist Kasachstan reich. Reich an Geld, reich an Rohstoffen. Vor allem das Erdöl sprudelt kräftig in dem weiten Land, dessen Fläche achtmal so groß ist wie die der Bundesrepublik. Pro Tag werden 1,5 Millionen Barrel (ein Barrel: 159 Liter) exportiert, Kasachstan ist auch Deutschlands drittgrößter Rohöllieferant. Und noch ein weiterer Schatz liegt in der Steppe verborgen: Seltene Erden. Das sind Spezialmetalle, die etwa für Handys, Akkus, Elektromagnete und andere Hightechprodukte benötigt werden.

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Die deutsche Industrie kann den Zugang zu diesen Stoffen gut gebrauchen. Bislang kontrolliert China die Verteilung von nahezu 95 Prozent der weltweiten Seltenen Erden - und treibt die Preise durch Exportzölle hoch. Jetzt wird Kasachstan zum neuen Lieferanten und erhält im Gegenzug auch Industriehilfe und technisches Know-how aus Deutschland. Das Land will sich wirtschaftlich breiter aufstellen - es soll auch Geld in die Kassen gespült werden, wenn die Öl- und Gasquellen irgendwann versiegen. Wie der "Tagesspiegel" berichtete, waren zwei Jahre intensiver Verhandlungen nötig, bis das heute von Merkel und Nasarbajew zu unterzeichnende "Abkommen über die strategische Zusammenarbeit im Rohstoff-, Industrie- und Technologiebereich" möglich wurde.

Das Geschäft mit dem autoritären Nasarbajew ist jedoch hoch umstritten. "Ein Land, das die grundlegenden Menschenrechte verletzt, ist kein gutes Umfeld für wirtschaftliche Investitionen", sagt Hugh Williamson, Regionalexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Kasachstans Akte der Freiheitsverstöße sei gerade in den vergangenen Monaten immer dicker geworden. "Deutschlands Wunsch nach engeren Beziehungen sollte nicht zulasten der Menschenrechte gehen."

Auch wenn Wirtschaftsabkommen immer auch einen positiven Einfluss auf die Situation der Bevölkerung haben können, sind Veränderungen inKasachstan so schnell nicht zu erwarten, denn Nasarbajew hat für ein starkes Machtfundament gesorgt: 2007 ließ er etwa die Verfassung so ändern, dass er so oft wiedergewählt werden kann, wie er will. Fast eine Präsidentschaft aufLebenszeit: Im Jahr 2011 wurde er mit mehr als 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Bei der Präsidentschaftswahl 2005 hatte er gut 91 Prozent erzielt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat Kasachstans Wahlen seit der Unabhängigkeit 1991 nicht ein einziges Mal als frei und fair bezeichnet. Die Opposition spricht seit jeher von Wahlbetrug. Ebenso ist es ein Geheimnis, wo das Geld bleibt, das Kasachstan durch seine Rohstoff-Exporte einnimmt.

Ein nicht unerheblicher Teil dürfte durch die Korruption versickern, die Transparency International jedes Jahr als hoch einstuft. Justiz- und Bildungswesen sind von Bestechung geprägt. Sogar Universitätsdiplome sind käuflich. Und dann ist da noch die Prachtstadt Astana. Der Goldglitzer zeigt, dass sich der Präsident seinen Dienstsitz einiges hat kosten lassen. Nasarbajew ist jetzt 71 Jahre alt und seine Position ist trotz einiger Proteste in jüngster Zeit stabil. Ein Nachfolger würde, wenn überhaupt, aus seinem nahen Umfeld kommen. Nasarbajews Tochter Dariga gilt als potenzielle Kandidatin.