Der Entwurf des Grundsatzprogramms der Partei propagiert eine Politik, die vom Wachstum lebt. Ob das in den Wahlkämpfen hilft?

Berlin. Der Begriff des "mitfühlenden Liberalismus" fehlt gänzlich. Auf immerhin drei der 30 Seiten ist vom "Sozialstaat" die Rede. Dieser soll aber "aktivierend", "leistungsfähig" und "aufstiegsorientiert" sein. Die Begriffe Steuerentlastung oder Steuersenkungen tauchen auch nicht mehr auf. Der Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der FDP, der dem Abendblatt vorliegt, verabschiedet sich von so manchen Ambitionen und Sprachbildern der vergangenen Jahre. Und er lässt seinen Leser spüren, dass der Parteichef nicht mehr Guido Westerwelle und der Generalsekretär nicht mehr Christian Lindner heißt.

Was nicht drinsteht im neuen Parteiprogramm, ist leichter zu beschreiben als das, was die neuen Leitlinien der Partei sein sollen. Noch ist das Programm, das den Namen "Verantwortung für die Freiheit" trägt und die Wiesbadener Grundsätze von 1997 ablöst, nicht offiziell. Das kann es erst werden, wenn es die Delegierten im April beim Bundesparteitag in Karlsruhe beraten und verabschieden.

Man darf allerdings davon ausgehen, dass die relevanten Gedanken dieses Entwurfs von Parteichef Philipp Rösler und seinem Generalsekretär Patrick Döring nicht mehr herausredigiert werden. Besonders relevant erscheint der Parteiführung der Wachstumsgedanke. Wie ein roter Faden zieht er sich durch die Seiten. Die Selbstbestimmung des Einzelnen soll vor allem Grundlage für Wachstum sein und umgekehrt: Ohne Wachstum kann sich der Mensch nicht nach seiner Fasson entfalten. "Wir setzen auf Wachstum und Ausgabendisziplin statt auf immer höhere Steuern und Abgaben zulasten der Mitte unserer Gesellschaft", ist zu lesen. Im Jahr 2012 gibt man sich moderat. Eine Schuldenbremse reicht schon nicht mehr, um den Staat zu entschulden: "Neue Staatsausgaben dürfen nur beschlossen werden, wenn ihre Finanzierung auch langfristig gesichert ist", heißt es. Die einstige Mehr-Netto-vom-Brutto-Partei verlangt nachhaltige Politik. Sie hat nun auch "die Freiheit nachfolgender Generationen" im Blick und spricht vom Prinzip des "nachhaltigen Wirtschaftens". Denn "Wachstum braucht Generationengerechtigkeit".

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Man mag es putzig finden, dass die Liberalen sich in einer Zeit, in denen Umfragen ihnen keinerlei Kompetenz für die Lösung der aktuellen Probleme zutrauen und die Fünf-Prozent-Marke in weiter Ferne liegt, im Programm unentwegt von Wachstum reden. Gleichzeitig sollen die neuen Leitlinien Selbstbewusstsein ausstrahlen. Ohne eine liberale Partei geht es in dieser Demokratie auch nicht, so der Tenor.

Der Zeitpunkt für den programmatischen Neuanstrich ist gewagt. Die Ruhe, mit der die FDP vor der Wahl in Schleswig-Holstein ihren inhaltlichen Kurs verfeinern und finalisieren wollte, ist dahin. Die Neuwahl des saarländischen Landtags am 25. März hat den Zeitplan verhagelt. Man ist längst schon wieder im Wahlkampf und mit dem nächsten drohenden Desaster konfrontiert. Die Liberalen dürfen im Saarland momentan mit mickrigen zwei Prozent rechnen und dabei zusehen, wie CDU und SPD sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, um schlussendlich doch nur eine Große Koalition einzugehen. Eigentlich sollte Schleswig-Holstein mit der Wahl am 6. Mai den Neustart markieren. Jetzt aber droht das Saarland, den liberalen Abstieg in die Bedeutungslosigkeit zumindest auf Länderebene weiter zu beschleunigen.

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Eine krachende Niederlage im kleinsten Flächenland der Republik hat Wolfgang Kubicki bereits eingepreist und distanziert sich sicherheitshalber schon jetzt vom Wahlausgang an der Saar. "Ich glaube, dass die Wahl im Saarland keine Auswirkungen auf Schleswig-Holstein haben wird, egal wie sie ausgeht", sagte der Fraktionsvorsitzende des schleswig-holsteinischen Landtags der Nachrichtenagentur Reuters. Er gehe davon aus, dass die FDP im Norden zum Zeitpunkt der Saar-Wahl in den Umfragen eine Fünf vor dem Komma haben werde. Der Ausgang der Wahl im Saarland spiele dann keine Rolle. Noch sagen die Umfragen der Nord-FDP vier Prozent voraus. Aber Kubickis Optimismus kennt nur eine ferne Grenze: Mindestens neun Prozent sind drin, sagt er. "Alle Felduntersuchungen haben uns bescheinigt, dass drei Viertel der Wähler, die uns seit September 2009 abhandengekommen sind, für uns noch erreichbar sind mit einem ordentlichen personellen und inhaltlichen Angebot." Damals hatten die Liberalen in Schleswig-Holstein 14,9 Prozent geholt.

Auch Kubicki hat den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms gelesen, und es scheint, als habe er für seinen Geschmack zu oft das Wörtchen Wachstum darin gefunden. "Begrifflichkeiten auszutauschen wird nicht ausreichen. Die Partei muss schon erklären, was sich unter dem Oberbegriff Wachstum für sie verbirgt", verlangte er. Die FDP müsse auch deutlich machen, dass sie nicht nur ein ökonomisches Standbein habe, sondern etwa auch Rechtsstaatspartei sei. Noch kann er Änderungswünsche formulieren. Erst Mitte März will die Grundsatzkommission den Text fertigstellen.