FDP erreicht zwei Prozent in den aktuellen Umfragen. Das Herz der Partei erreicht Philipp Rösler nicht - das schafft nur Fraktionschef Rainer Brüderle.

Stuttgart. Nicht einmal die politischen Gegner lassen sich von der FDP noch hinterm Ofen hervorlocken. Zwei Prozent in den aktuellen Meinungsumfragen - da machte sich am Dreikönigstag kein linker Demonstrant mehr die Mühe, wie in früheren Jahren üblich, vor das Stuttgarter Staatstheater zu ziehen. Die einzigen Protestplakate, an denen die Spitzenpolitiker der Freien Demokraten auf dem Weg zu ihrer Kundgebung vorbeimussten, kamen von der Ortsgruppe der Jungen Liberalen. Die hatten sich das motorisierte Dreirad eines Pizzaservice geliehen und forderten Philipp Rösler auf: "Genug gebacken, endlich liefern!"

Genau das hatte sich der FDP-Chef für die erste Rede seiner Amtszeit an Dreikönig vorgenommen. In 60 Minuten wollte er seiner zutiefst verunsicherten Partei ein inhaltliches Konzept für den Wiederaufstieg präsentieren. Er wollte Antworten liefern auf zwei Fragen, auf die selbst so mancher Liberaler nicht mehr zu antworten weiß: Wofür eigentlich steht die FDP noch? Und warum sollen die Bürger diese Partei wählen?

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Jedenfalls nicht mehr wegen des alten Wahlkampfschlagers Steuersenkungen. Mit keinem Wort kam die vom ehemaligen Vorsitzenden Guido Westerwelle über ein Jahrzehnt zum Schwerpunktthema erhobene Entlastung der vergessenen Mittelschicht in Röslers Rede vor. Lediglich Steuererhöhungen verhindern will die FDP jetzt noch. Kurz: Der bislang zum Gencode der Liberalen zählende "Mehr Netto vom Brutto"-Slogan kann ins Haus der Geschichte einziehen.

Die neue Losung ist ein Dreiklang. "Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand", das soll das Credo der FDP unter Rösler sein. Er sieht in diesem Bekenntnis ein Alleinstellungsmerkmal seiner Partei. Beginnend beim Club of Rome 1972 sei es mittlerweile Allgemeingut, Wachstum als Grundlage der sozialen Marktwirtschaft zu verteufeln. Nicht nur die linken Parteien, auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe sich das Bekenntnis zu einer Begrenzung des Wirtschaftswachstums zu eigen gemacht. Damit werde eine "Grundachse Deutschlands" verschoben, sagte Philipp Rösler. "Unverantwortlich" sei das, und deshalb werde sich die FDP die Verteidigung des Wachstums als Grundlage "einer wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung in einer freiheitlichen Gesellschaft" auf die Fahnen schreiben.

Nachdem seine Strategie benannt war, versuchte der 38 Jahre alte Vorsitzende zu skizzieren, wie man damit Wahlkampf machen kann. Regulierung der Finanzmärkte als Ausdruck eines am Wohl des Menschen orientierten Wachstums, Nachhaltigkeit als nicht von "grünen Gutmenschen", sondern von der Wirtschaft erfundenes Leitmotiv, Zuzug ausländischer Fachkräfte und bezahlbare Energie als Voraussetzung für weiteres Wachstum: Das sollen die Sachthemen für die Argumentation auf der Straße werden. Besonders breiten Raum widmete Rösler den Staatsschulden. Er beschrieb die Schuldenbremse im Grundgesetz als Erfolg der FDP - und damit seines Vorgängers Westerwelle, der dieses Ziel einst im Grundsatzprogramm verankert hatte. Rösler selbst will nun den nächsten Schritt gehen. Sein Generalsekretär Patrick Döring soll die Vision eines schuldenfreien Deutschlands in das neue Programm schreiben. Seine drei Jahre alten Töchter, so Rösler, sollten einst sagen können: "Es war die FDP von Papa", die sich auf den Weg gemacht hat, Schulden abzubauen.

Der Rest der Rede war Prosa für die Partei: das Beschwören eigener Erfolge ("Deutschland geht es gut unter Schwarz-Gelb"), die Klage über das Negativimage in den Medien und Appelle an die Geschlossenheit ("Gemeinsam reißen wir das Ruder herum"). Diesen Balsam für die wunde Seele der FDP verteilte Rösler allerdings nur sparsam. Die laute Attacke entspricht nicht seinem Charakter, verbiegen will er sich auch nicht. Er ist kein Vorsitzender für das Herz, er bedient allein den liberalen Verstand. Das ist authentisch. Die Frage ist nur, ob es für den Überlebenskampf der FDP ausreichend ist.

Gemessen an den früheren Auftritten Westerwelles blieb der Beifall der rund 1200 Besucher im Staatstheater jedenfalls überschaubar euphorisch. Am Tag zuvor war das noch anders gewesen. Da hatte Rainer Brüderle auf dem Landesparteitag der baden-württembergischen Liberalen gesprochen - und den Saal zum Kochen gebracht. Während Rösler nur zu kämpfen versprach, stürzte sich Brüderle in die rhetorische Schlacht. "Die FDP kann nur einer besiegen, und das ist sie selbst", donnerte der Fraktionschef. Er versuchte sich als bibelfester Prediger ("Fürchtet euch nicht!"), als Westerwelle-Erbwalter ("Wir sind Anwalt der Mitte, die sich täglich den Hintern aufreißt") und geißelte die Opposition aus "Sirtaki-Siggi" Gabriel (SPD) und "Ich war mal eine Dose"-Trittin (Grüne) als Schuldenpolitiker. Intellektuell anspruchsvoll war das nicht. Aber mitreißend. Im Idealfall könnten sich Brüderles Dezibelstärke und Röslers Programmatik in den nächsten Monaten ergänzen. Doch dafür müssten die Lippenbekenntnisse zum Mannschaftsspiel von beiden gelebt werden. Rösler aber versteht seine Wachstumsphilosophie als Grundlage einer thematisch breit gefächerten Partei. Brüderle plädiert für die Konzentration auf "Brot und Butter", für "Orchideen-Themen" sieht er in der Existenzkrise keinen Raum.

Das im Alltag zu verbinden kann schwierig werden - von anderen Problemen ganz zu schweigen. Der neue General Döring blieb in Stuttgart blass, so mancher Zuhörer wünschte sich seinen rhetorisch geschulteren Vorgänger Christian Lindner zurück. Doch der saß nur brav Beifall klatschend im Saal. Im saarländischen Landesverband regiert das Chaos. Und das Geraune über einen "Übergangsvorsitzenden" Brüderle nach der Schleswig-Holstein-Wahl im Mai will nicht verstummen.

Der Spitzenkandidat im Norden, Wolfgang Kubicki, hat seine Erwartungen jedenfalls schon auf ein Mindestmaß zurückgefahren. Das Angebot, bei Dreikönig zu sprechen, schlug er aus. Kubicki glaubt nicht mehr an Rückenwind aus der Bundespartei. "Kein Gegenwind" würde ihm schon genügen. Den Rest, sagt er, "werden wir allein schaffen".