Dürfte die “Bild“ dennoch die Nachricht komplett publizieren? Die Rechtslage ist in dieser Frage nicht eindeutig. Im Internet setzt es Spott.

Berlin. Bundespräsident Christan Wulff steht weiter unter Druck. Gestern versuchte sich das Staatsoberhaupt mit einem TV-Interview zur Kredit- und Medienaffäre freizukämpfen, doch schon jetzt steht er erneut unter Zugzwang: Die „Bild“-Zeitung widerspricht Wulffs Darstellung, dass er mit seinem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann nur eine unliebsame Berichterstattung zu seinem Privatkredit verschieben wollte. In der Tat, so die "Bild"-Zeitung, ging es darum, dass er die Berichterstattung verhindern wollte. Jetzt geht die Zeitung in die Offensive: Sie plant die Mailboxaufzeichnung zu veröffentlichen und bat Wulff um Zustimmung. Allerdings: Der Bundespräsident lehnt die Veröffentlichung ab. Das Präsidialamt veröffentlichte ein Schreiben Wulffs an „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, in dem Wulff darauf hinweist, dass er sich bei ihm persönlich bereits entschuldigt habe. „Damit war die Sache zwischen uns erledigt. Dabei sollte es aus meiner Sicht bleiben“,heißt es in dem Schreiben.

Die „Bild“-Zeitung hat die Entscheidung von Wulff bedauert, den Wortlaut des Anrufs auf der Mailbox von Chefredakteur Kai Diekmann nicht zur Veröffentlichung freizugeben. „Die Redaktion bedauert diese Entscheidung. Damit können die im Zusammenhang mit dem Fernseh-Interview des Bundespräsidenten entstandenen Unstimmigkeiten, was das Ziel seines Anrufes angeht, nicht im Sinne der von ihm versprochenen Transparenz aufgeklärt werden“, teilte die „Bild“-Chefredaktion am Donnerstag mit.

Der Konflikt zwischen dem Staatsoberhaupt und Deutschlands einflussreichster Zeitung spitzt sich damit weiter zu.

Dürfte „Bild“ Wulff-Wortlaut veröffentlichen?

Dürfte die Zeitung dennoch die Nachricht komplett publizieren? Die Rechtslage ist in dieser Frage nicht eindeutig. Eine genaue Abwägung ist notwendig. Das gesprochene Wort ist ebenso wie die Stimme eines Menschen vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt. Vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht von Verfassungsrechtlern eine Veröffentlichung der Originalaufnahme wohl rechtlich nicht zulässig.

Eine - zumindest auszugsweise - verschriftlichte Wiedergabe des Inhalts der Nachricht wird hingegen als weniger problematisch betrachtet. Erforderlich sei eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht Wulffs und der Pressefreiheit. Sie könnte im Fall Wulff nach Expertenmeinung zugunsten der Presse ausgehen, weil Wulff freiwillig auf den Anrufbeantworter gesprochen habe. Zudem betreffe der Inhalt des Gesprächs - soweit bekannt - auch nicht den Kern von Wulffs Privatsphäre.

Strafrechtlich würde sich „Bild“ mit einer Veröffentlichung laut Rechtsexperten in einer Grauzone bewegen. Paragraf 201 Strafgesetzbuch (StGB) verbietet unter anderem die Veröffentlichung unbefugt mitgeschnittener Telefonate. Ob dies auch für Mitschnitte gilt, die ganz legal entstanden sind, ist in der Strafrechtswelt umstritten. Nach Paragraf 193 StGB ist die Weitergabe auch brisanten Materials aber erlaubt, wenn sie der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.

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Gutes, böses Internet: Spott für Wulff und Schausten

Internetnutzer und Online-Medien sind mitunter ebenso böse wie kreativ – Bundespräsident Christian Wulff kann seit Tagen ein Lied davon singen. Die Satire-Seite „Der Postillon“ verbreitete am Donnerstag eine fingierte Stellungnahme Wulffs zu den Anrufen bei der „Bild“-Zeitung. Unter anderem heißt es in dem mit zahlreichen Anspielungen auf den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gespickten Text, Wulff wolle „vorübergehend, ich betone vorübergehend, auf das Führen der Bezeichnung Bundespräsident verzichten“.

Auf Facebook hat eine Gruppe inzwischen dazu aufgerufen, sich vor dem Schloss Bellevue zu versammeln und nach arabischem Vorbild dem Bundespräsidenten die Schuhe zu zeigen. Diese Geste drückt Verachtung aus.

Wulffs TV-Interview am Mittwochabend stoppte die Flut an Häme zwar nicht, brachte den Spöttern aber ein weiteres Ziel. Nachdem die ZDF-Journalistin Bettina Schausten gesagt hatte, sie zahle ihren Freunden für Übernachtungen 150 Euro, machten sich bei Facebook mehrere Gruppen über die Moderatorin lustig. Die Seiten „Fr. Schausten muss ihre bezahlten Übernachtungen bei Freunden offenlegen“, „Übernachte bei Bettina Schausten“ und „400 Fragen an Frau Schausten“ hatten am Donnerstagnachmittag zusammen über 5500 Fans.

Schausten selbst reagierte auf die Häme gegen sich gelassen. „Die Welle, die da heute durch das Internet ging, fand ich amüsant“, sagte die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios der Nachrichtenagentur dpa. „Ich darf Ihnen sagen: Nein, ich nehme kein Übernachtungsgeld von Freunden, die auf meiner Gästematratze übernachten. Darum ging es in dem Interview mit Wulff aber auch nicht.“

Der Bundespräsident habe versucht, das ganze Thema auf die Ebene von normalen Besuchen bei Freunden herunterzubrechen. Sie habe sich dabei den Einwand erlaubt, dass man bei Urlaubsaufenthalten selbstverständlich auch Freunden anbieten könne, einen finanziellen Beitrag zu leisten, betonte Schausten. Das habe sie in der Vergangenheit auch selbst schon getan.

Enormes Interesse an TV-Interview

Das TV-Interview des Bundespräsidenten vom Vortag stieß auf ernormes Interesse: 11,49 Millionen Zuschauer verfolgten die Ausführungen des deutschen Staatsoberhauptes gestern auf ARD und ZDF. Das entspricht einem Marktanteil von 33,9 Prozent. 8,04 Millionen Zuschauer sahen das Interview im Ersten (23,7 Prozent), beim ZDF schalteten 3,45 Millionen Zuschauer ein (10,2 Prozent). Quoten wie bei einer Fußballweltmeisterschaft. Das 20-minütige Gespräch wurde um 20.15 Uhr zeitgleich von ARD und ZDF ausgestrahlt. Die Kritik am Staatsoberhaupt reißt jedoch auch nach dem Interview nicht ab. SPD und Grüne sehen die Debatte um Wulff nach der Ausstrahlung nicht aus der Welt geschafft. Das Abendblatt bittet seine Leser, abzustimmen: Wie bewerten Sie Wulffs Äußerungen? Hat der Bundespräsident sich ausreichend erklärt?

Wulffs Anwälte veröffentlichten nach dem Interview eine „zusammenfassende Stellungnahme“ zu den mehreren hundert Medienanfragen in der Kreditaffäre. Sie ergänzten eine „rechtliche Bewertung“, wonach kein Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz vorliege. Nach Darstellung der Anwälte standen weder der umstrittene Privatkredit noch die diversen Urlaubsreisen mit den Amtspflichten Wulffs als Ministerpräsident von Niedersachsen in Zusammenhang. Auch für steuerrechtliche Verstöße gebe es keine Anhaltspunkte. Mit Blick auf Wulffs Darstellung zum Ziel seines Anrufes bei der „Bild“-Zeitung schrieb Diekmann an das Staatsoberhaupt: „Mit Verwunderung haben wir gestern Ihre Aussage im Fernsehen zur Kenntnis genommen, bei Ihrem Anruf auf meiner Mail-Box sei es nicht darum gegangen, Berichterstattung zu ihrem Hauskredit zu verhindern, sondern diese lediglich um einen Tag zu verschieben.“ Der stellvertretende „Bild“-Chefredakteur Nikolaus Blome bezeichnete im Deutschlandfunk die Mailbox-Nachricht als „große Dummheit“ und erklärte: „Und es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden.“

Die sechsseitige Erklärung der Anwälte fasst die Antworten auf etwa 450 Medienanfragen zusammen. Dabei geht es im wesentlichen um die Kreditfinanzierung des Eigenheims im niedersächsischen Burgwedel und um Urlaubsaufenthalte bei teils prominenten Freunden. Der umstrittene Anruf Wulffs bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann wird in dem Papier nicht behandelt. Dazu verweisen die Anwälte auf Wulffs öffentliche Erklärungen. „Unser Mandant strebt bei der Beantwortung dieser Fragen größtmögliche Transparenz an, soweit diese Sachverhalte betreffen, die in Beziehung zu seinen öffentlichen Ämtern stehen“, heißt es. Die Antworten könnten aber teilweise noch ergänzungs- oder korrekturbedürftig sein. In diesem Fall würde der Bericht aktualisiert werden.

Zur Kreditfinanzierung des Eigenheims in Burgwedel wiederholt der Bericht die bisher bekannten Fakten. „Bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie bat das Ehepaar Wulff Egon Geerkens um Unterstützung.“ Geerkens habe umfangreiche Erfahrungen mit dem Erwerb und Verkauf von Immobilien. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unternehmerisch aktiv gewesen. Bei einem Treffen der Ehepaare Wulff und Geerkens bot demnach Edith Geerkens an, den Wulffs vorübergehend einen Privatkredit über 500 000 Euro zu gewähren.

Im Jahr 2009 plante demnach das Ehepaar Wulff, die Ablösung des Kredits von Frau Geerkens durch einen Bankkredit in Angriff zu nehmen. „Im Dezember 2009 nahm Herr Wulff auf Anregung von Herrn Geerkens Gespräche mit einem Privatkundenberater der BW-Bank auf. Andere Personen waren an der Entstehung des Kontaktes von Herrn Wulff zur BW-Bank nicht beteiligt. Ein in der Öffentlichkeit erörterter Zusammenhang zwischen dem Abschluss der Grundlagenvereinbarung Porsche/VW und den von Herrn Wulff geführten Kreditgesprächen mit der BW-Bank bestand nicht.“Zu den Urlauben der Wulffs heißt es: „Gelegentlich verbrachte Herr Wulff Ferientage auf Einladung bei befreundeten Familien. Für diese Besuche bei Freunden leistete Herr Wulff keine Logiekosten. Zumeist waren die jeweiligen Gastgeber selbst anwesend.“

Auch zu anderen Medienanfragen nimmt der Bericht Stellung. So habe Wulff von Maschmeyers 45 000-Euro-Zahlung für ein Buch mit Gesprächen mit Wulff nichts gewusst. 2009 habe im Vorfeld des Nord-Süd-Dialogs als Ministerpräsident mit seiner Ehefrau an einem Essen teilgenommen, dass die Nord/LB veranstaltete. Nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten habe Wulff für etwa eine dreiviertel Stunde bei einer Veranstaltung „vorbeigeschaut“, zu der der Eventmanager Manfred Schmidt eingeladen hatte.

Mit Material von dpa/dapd/rtr