Gesundheitsminister Philipp Rösler spricht im Abendblatt über den Gesundheitsstreit mit der CSU, das Ansehen der FDP - und über seine Zukunft.

Berlin. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) scheiterte mit seinem Reformkonzept - und rief Spekulationen über seine politische Zukunft hervor. Im Interview skizziert er seine Pläne.

Hamburger Abendblatt: Herr Rösler, sind Sie der Nächste, der in Berlin zurücktritt?

Philipp Rösler: So ein Unsinn. Ich habe meinen Amtseid geschworen, um für 80 Millionen Menschen das Gesundheitssystem robuster und damit auch für die Zukunft verlässlich zu machen. Die gesetzliche Krankenversicherung steht vor enormen finanziellen Problemen. Die Fachleute erwarten ein Milliardendefizit im nächsten Jahr. Das gilt es, in den Griff zu bekommen.

Sie haben Ihr politisches Schicksal an die Gesundheitsprämie geknüpft. Seit einigen Tagen steht fest: Es wird keine Gesundheitsprämie geben ...

Sie spielen auf meine Äußerungen in einer Fernseh-Talkshow an, die in den Medien leider häufig falsch wiedergegeben werden. Ich habe damals davon gesprochen, dass ich ein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg bringen will. Dabei bleibe ich.

Die CSU lehnt Ihr Konzept rundheraus ab. Glauben Sie, Horst Seehofer lässt sich noch bekehren?

Die Reform des Gesundheitssystems darf keine Glaubensfrage sein. Wir brauchen sehr schnell eine pragmatische Lösung. Wenn man Dinge ablehnt, gehört es zum guten Stil, dass man selbst Vorschläge macht. Es geht nicht, dass die CSU jegliche Alternativen schuldig bleibt. Die Menschen erwarten doch zu Recht, dass diese Koalition gemeinsam die Probleme im Land angeht, dass die Koalition handelt. Wir jedenfalls sind dazu bereit.

Werden Sie die Reformpläne so lange nachbessern, bis sie in der Koalition durchsetzbar sind?

Die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und FDP haben sich darauf verständigt, dass das Bundesgesundheitsministerium gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen ein Konzept erarbeitet, um eine robuste Finanzierung sicherzustellen. Dazu gehört, dass die bisherigen einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträge weiterentwickelt werden - und zwar unter Einbeziehung der sozialen Gerechtigkeit. Das hat auch der CSU-Parteichef so mit beschlossen.

Sie könnten die Beiträge erhöhen - wie jeder Gesundheitsminister vor Ihnen.

In meinem ursprünglichen Konzept wurde das Milliarden-Kassendefizit fair und gerecht aufgeteilt: auf Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Steuerzahler. Das hat die CSU abgelehnt, weil sie die Arbeitgeber einseitig schonen wollte. Wenn die CSU bei ihrer Haltung bleibt, führt das zwangsläufig dazu, dass die Versicherten stärker belastet werden - und zwar ohne einen echten sozialen Ausgleich, wie ich ihn vorgesehen habe. Das ist das reine Einmaleins der Krankenkassen-Mathematik. Das weiß auch Herr Seehofer. Er war ja selbst mal Gesundheitsminister.

Die CSU fordert Einsparungen ...

... und bringt gleichzeitig eine höhere Praxisgebühr ins Gespräch. Das passt nicht zusammen. Grundsätzlich: Einsparungen sind schnell gefordert. Aber man muss sich jeden Vorschlag genau ansehen. Denn am Ende treffen Einsparungen im Gesundheitssystem immer Menschen - Versicherte, Patienten, Beschäftigte. Ich prüfe deshalb jeden Einsparvorschlag doppelt - wenn er denn kommt.

Koalitionspolitiker bezweifeln, dass Sie die nötige Härte haben, um einen Systemwechsel im Gesundheitswesen durchzusetzen.

Leider wird menschliche Härte oft mit politischer Stärke gleichgesetzt. Ich finde: Sie müssen zäh genug sein, Kritik auszuhalten. Als Gesundheitsminister wird man für jede seiner Entscheidungen kritisiert. Weil ich das weiß, habe ich die innere Freiheit, das zu tun, was ich für richtig halte. Wie entschlossen ich vorgehe, hat ja schon die Pharmaindustrie erlebt.

Sie wollen mit 45 Jahren aus der Politik aussteigen, das haben Sie mehrfach bekräftigt. Haben Sie in diesen Tagen mal daran gedacht, Ihre persönliche Altersgrenze vorzuverlegen?

Nein, wozu?

Es bleibt also bei Ihren Plänen.

Ja. 45 ist ein gutes Alter, um etwas Neues zu machen.

Was zum Beispiel?

Ach, da gibt es viele Möglichkeiten. Ich habe ja ein gewisses Sendungsbewusstsein. Warum sollte ich nicht für eine politische Stiftung oder Nichtregierungsorganisation arbeiten? Gerade im Bereich Gesundheit gibt es vielfältige Aufgaben. Mit meiner Erfahrung im deutschen Gesundheitssystem könnte ich anderen helfen. Vergessen Sie nicht, Deutschland hat eines der besten, wenn nicht sogar das beste Gesundheitssystem auf der Welt. Erst einmal möchte ich aber, dass dieses tolle System, um das uns andere Länder beneiden, für die Zukunft wetterfest gemacht wird.

In Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen herrscht sicher ein anderer Ton als in der schwarz-gelben Koalition. Ihr Staatssekretär zum Beispiel hat der CSU attestiert, sie trete auf "wie eine Wildsau". Würden Sie das auch so sagen?

Es lohnt sich, nach vorn zu blicken und die Probleme anzugehen, die vor der Tür stehen. Als Regierung müssen wir handeln.

Aus der FDP kommt die Drohung, dem Präsidentschaftskandidaten Christian Wulff in der Bundesversammlung die Stimme zu verweigern - falls die Union die Liberalen weiter in Bedrängnis bringt. Ist das ein legitimer Akt der Notwehr?

Sie kennen meine guten Beziehungen zu Christian Wulff, die über Jahre gewachsen sind. Christian Wulff hat immer zu einer CDU/FDP-Koalition gestanden. Ich schätze ihn sehr als Mensch, als Persönlichkeit und als Politiker. Es geht um das höchste Staatsamt. An die Wahl des Bundespräsidenten sollte man keine Bedingungen knüpfen. Ich werde den Delegierten der niedersächsischen FDP empfehlen, in der Bundesversammlung für Christian Wulff zu stimmen.

Sind Sie sicher, dass Wulff gewählt wird?

Ich bin fest davon überzeugt.

Das bürgerliche Lager hätte genauso gut Joachim Gauck nominieren können. Haben Sie eine Chance vertan?

Der Kandidat, den wir aufgestellt haben, ist eine hervorragende politische Persönlichkeit.

Die FDP hat nicht einmal versucht, einen eigenen Bewerber durchzusetzen. Lässt sich Westerwelle in der Koalition den Schneid abkaufen?

Die drei Parteivorsitzenden sind gemeinsam zu einer Lösung gelangt - und haben damit gezeigt, dass diese Koalition entschlossen eine Linie vertritt.

Hält diese Regierung bis 2013?

Ich bin fest davon überzeugt. Wir haben von den Wählern einen Auftrag erhalten. Und wir müssen tun, wofür wir gewählt worden sind. Dass es noch einiges im Auftreten zu verbessern gibt, ist allen klar. Wenn wir in einigen Jahren Bilanz ziehen, dann werden wird es heißen: Ja, die Anfangszeit war nicht leicht, aber dann funktionierte es immer besser. Es hat sich für die Menschen, es hat sich für Deutschland gelohnt.

Was kann die Bundeskanzlerin zum Koalitionsfrieden beitragen?

Wir haben keinen Koalitionsunfrieden.

Dürfen wir Sie an das Wort des CSU-Generalsekretärs von der "gesundheitspolitischen Gurkentruppe" FDP erinnern?

Wie schon gesagt: Wir blicken nach vorne. Für uns steht im Vordergrund, dass jetzt die Probleme im Gesundheitssystem angegangen werden.

Die FDP ist in den Umfragen auf fünf Prozent gesunken. Haben Sie eine Idee, wie die Partei aus dem Tal kommt?

Wir haben bei der Bundestagswahl mit 14,6 Prozent ein grandioses Resultat erzielt. Wir wollten Reformen in Deutschland. Viele Menschen sind nun enttäuscht, dass die Ergebnisse nicht schnell genug gekommen sind. Die FDP ist gut beraten, die Themen des Wahlkampfs weiter zu transportieren. Die Wähler erwarten von uns, dass wir Steuererhöhungen verhindern und die Mittelschicht entlasten.

Guido Westerwelle hat die FDP auf ein einziges Thema - Steuersenkungen - reduziert. Nun sind Steuersenkungen abgesagt. Müssen sich die Liberalen neu erfinden?

Unser Thema heißt nicht Steuersenkungen, sondern Entlastung der Mitte unserer Gesellschaft. Darüber hinaus haben gerade die Jüngeren in unserer Partei immer gefordert, dass die FDP sich inhaltlich breiter aufstellen muss. Liberalismus umfasst viel mehr als das, was öffentlich diskutiert wird. Liberalismus ist eine Lebenseinstellung, ein Lebensgefühl.

An welche weiteren Themen denken Sie?

Die FDP sollte wieder stärker zu einer Bürgerrechtspartei werden. Ich persönlich finde, dass auch das Thema Solidarität stärker unser Markenzeichen werden muss. Eigenverantwortung und Solidarität gehören zusammen. Insbesondere in einer sich verändernden Welt ist es eine Herausforderung, dies für uns in Deutschland dauerhaft und zukunftssicher zu organisieren.

Sie haben einmal gefordert, die FDP müsse sympathischer werden, menschlicher. Gilt das noch?

Wir sind gewählt worden, um politische Inhalte durchzusetzen. Wenn das passiert ist, wird auch Sympathie wieder zunehmen.

Ist die FDP sympathischer als früher?

Das glaube ich schon. Meine Forderung habe ich vor fünf Jahren erhoben. Die FDP hat sich natürlich weiterentwickelt.

Haben Sie eine Ahnung, weshalb Guido Westerwelle vielen Bürgern nicht sonderlich sympathisch ist?

Guido Westerwelle hat viele Anhänger. Es liegt in der Funktion des Parteivorsitzenden, Dinge zuzuspitzen, auch programmatisch in der Sache stark zu sein und gut zu verhandeln.

Ist er Ihnen sympathisch?

Auf jeden Fall.

Was mögen Sie an Westerwelle?

Ich schätze seinen Humor. Rhetorisch ist er absolut brillant. Das finde ich immer wieder genial. Und ich bewundere, wie er mit unfairer Kritik umgeht, der er ständig ausgesetzt ist.

Ist es Ihnen unangenehm, dass Sie und Generalsekretär Lindner von Parteifreunden als mögliche Nachfolger Westerwelles gehandelt werden?

Ja, wir haben alle unsere Aufgaben, unsere Bereiche. Jeder hat genug mit seinen Sachen zu tun. Christian Lindner ist ein hervorragender Generalsekretär, seine Rede auf dem letzten Parteitag war genial. Aber solche Debatten erzeugen immer den Eindruck, als gebe es irgendwelche Rivalitäten. Das ist definitiv nicht der Fall.

Aber Lindner ist schon der Kronprinz.

Er ist der Generalsekretär. Und aus Generalsekretären ist schon viel geworden. Siehe Guido Westerwelle.