Streichen, kürzen, kappen: Wie Deutschland aus der dramatischen Schuldenkrise kommen soll. Schwarz-Gelb stutzt den Sozialstaat.

Berlin. Am Ende lief der Kanzlerin im aufreibenden Verhandlungsmarathon um das größte Sparprogramm der deutschen Geschichte schlicht die Zeit davon. Erst gegen 14 Uhr hatten die letzten Akteure das Kanzleramt verlassen, nur eine Stunde später wollte Angela Merkel gemeinsam mit ihrem Vize Guido Westerwelle die Details des 80 Milliarden Euro schweren Sparpakets in der Bundespressekonferenz vorstellen.

Schon um 16 Uhr warteten die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion auf Informationen, wo in Deutschland denn nun überall der Rotstift angesetzt wird - und warum.

Bis zuletzt war noch an den Details gefeilt worden, knapp 17 Stunden hatte man insgesamt miteinander zugebracht, unterbrochen nur durch eine kurze Schlafpause in der Nacht von Sonntag auf Montag. Dabei standen die Grundzüge des Sparprogramms, das nach den krisenhaften Wochen auch einen Neustart der ins Trudeln geratenen schwarz-gelben Koalition markieren sollte, bereits fest, als die Matadore der Koalition am Sonntag bei der Kanzlerin eintrafen: Die Vorarbeiten hatte eine sechsköpfige Arbeitsgruppe der Koalition erledigt, ihr sieben Seiten starkes Papier "Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken" lag als Tischvorlage parat. Doch allen Beteiligten war schnell klar: Das wird trotzdem ein einmaliger Kraftakt. Bei Frikadellen, Kasseler, Wurstsalat und Gulaschsuppe mussten sämtliche Etatpläne der Ministerien im Großen Kabinettssaal unter die Lupe genommen und - wenn nötig - gestutzt werden, um das beispiellose Sparziel von insgesamt rund 80 Milliarden Euro bis 2014 zu erreichen.

Bei allen Maßnahmen galt aber die Ansage: Letztlich muss das Paket als "ausgewogen" zu verkaufen sein - sowohl der Bund selbst als auch die Wirtschaft und die Bürger sollten deshalb zu annähernd gleichen Teilen belastet werden. Damit wollten die Verhandlungsführer auch der erwartbaren Kritik der Opposition begegnen, Schwarz-Gelb leite mit diesem Sparpaket den sozialen Kahlschlag ein. Federn lassen mussten mit Ausnahme von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) alle. Insbesondere Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) traf es hart: Beide hatten Mehrausgaben in Milliardenhöhe angemeldet, mit denen sie bei Merkel, Schäuble und Westerwelle durchfielen. Wenn es grundsätzlich hakte, setzte sich die Kanzlerin mit beiden zu Einzelgesprächen ab.

Erschwert wurden die Gespräche durch das Veto der CSU gegen die Reformpläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), weil für das Haushaltsjahr 2011 ein bis dahin nicht vorgesehener Bundeszuschuss für die Gesetzliche Krankenversicherung in Höhe von zwei Milliarden Euro aufgetrieben werden musste. Auch in den Verhandlungen um den Verteidigungsetat ging es offenbar hart zu. Es hieß sogar, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) habe wieder einmal mit Rücktritt gedroht. Fakt ist: Auch sein Ministerium muss harte Einschnitte realisieren. Ab 2013 sind zwei Milliarden pro Jahr einzusparen - die Wehrpflicht soll trotzdem erhalten bleiben.

Um ein Uhr in der Nacht gingen die Verhandlungsführer auseinander, weitere Milliardenlöcher wurden in der zweiten Runde am Montagmorgen gestopft - bereits um acht Uhr standen Schäuble und Westerwelle zu diesem Zweck wieder bei Merkel in der Tür. Sechs Stunden später schien das größte Sparpaket in der Geschichte der Republik, dessen Zustandekommen die Kanzlerin und ihr Vize als "Kraftakt" bezeichneten, unter Dach und Fach.

Am Ende stand die Entscheidung gegen Steuererhöhungen für Besserverdienende, wie sie auch aus der Union im Vorfeld immer mal ins Spiel gebracht worden waren - für Westerwelle eine existenzielle Frage, was den Fortbestand des Bündnisses anging.

Kräftig gekürzt wird stattdessen bei Millionen Arbeitslosen und Familien und den Staatsdienern. Neue Lasten kommen aber auch auf die Atomindustrie und die Luftverkehrsbranche zu, um die Vorgaben des Euro-Stabilitätspakts und der neuen Schuldenbremse im Grundgesetz einzuhalten. Ob die Regierung auch im Bundestag eine Mehrheit für das Maßnahmenpaket findet, ist noch nicht ganz sicher. Unionsfraktionschef Volker Kauder meldete Diskussionsbedarf an. Heftiger aber fielen die Reaktionen von Opposition und Sozialverbänden aus. "Um es deutlich zu sagen: Mutti hat in der Waschmaschine den Schongang für Vermögende und für die Klientel der FDP eingelegt, den Schleudergang dagegen für Arbeitslose, Familien und für Kommunen", lästerte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Auch die Linke geißelte die Sparpläne als unausgewogen, unsozial und ökonomisch unsinnig und kündigte harten Widerstand an. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte vor einem Auseinanderbrechen der Gesellschaft. Westerwelle konterte solche Vorhalte mit den Worten: "80 Milliarden sparen Sie auch nicht mit der Nagelschere."