Kritik an seinen Auslandsreisen lässt er nicht gelten. Auch die Medien könnten ihm nicht den Schneid abkaufen, so der Außenminister

Siegen. Als die Delegierten sich wieder erheben wie eine geschlossene Truppe beim Aufmarsch, blickt Guido Westerwelle zufrieden vom Podium. Es geschieht nun schon zum zweiten Mal, dass er frenetischen Applaus bekommt, während er redet. In der fensterlosen Siegerlandhalle erfährt der Außenminister und FDP-Parteichef an diesem Sonntag uneingeschränkte Solidarität und maximale Anerkennung. Hier in der Abgeschiedenheit der Stadt Siegen in Nordrhein-Westfalen ist Westerwelle geschützt vor Kritik und Angriffen seiner Gegner. "Wir stehen", ruft er in den Saal hinein und gibt dann ein Aufbruchsignal. "Wir wollen nicht, dass in Nordrhein-Westfalen zwanzig Jahre nach der deutschen Einheit Kommunisten und Sozialisten etwas zu sagen haben."

Nur wenige Stunden zuvor ist Westerwelle von seiner Südamerika-Rundreise heimgekommen. Nach Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien nun die Stadt Siegen, die hinter Attendorn, Drolshagen und Olpe liegt. Der Grenzübergang von der Außen- zur Innenpolitik könnte krasser nicht sein. Der Stadtname soll die symbolische Botschaft für die anbrechende letzte Phase des Landtagswahlkampfes sein. Denn das Image der Sieger-Partei mit Potenzial zu zweistelligen Prozentergebnissen ist seit der Bundestagswahl verflogen. Die Popularitätswerte des Außenministers sind miserabel, er und seine Partei werden seit Monaten konfrontiert mit Vorwürfen der Klientelpolitik und der Vetternwirtschaft. Ob Steuerentlastungen für Hoteliers oder Parteispender in der Reisedelegation des Außenministers - Westerwelle muss sich gegen den Ruch der Käuflichkeit wehren. Obendrein sprechen SPD und Grüne der FDP ihre demokratische Gesinnung ab. Sie seien "unsozial", "radikal", "extrem", gar "marktradikale Extremisten" ereifert sich Rot-Grün - so als handele es sich um Staatsfeinde, die sich im Visier des Verfassungsschutzes befinden.

Westerwelle versucht in Siegen seine Weggefährten gegen die Anschuldigungen zu immunisieren. Er entschuldigt sich für nichts. Die Vorwürfe gegen die Auswahl seiner Delegation streift er nur. "Ich werde auch in Zukunft als Außenminister der deutschen Wirtschaft und insbesondere dem Mittelstand in anderen Ländern die Türen öffnen", sagt er. In anderen Ländern gerieten Außenminister unter Druck, wenn sie dies nicht täten.

Es bleibt ein ernstes Problem, dass sich solche Diskussionen ausgerechnet bei Westerwelle festsetzen. Er selbst sieht darin eine linke Verschwörung, angezettelt von SPD, Grünen und Linken. Er sagt nichts zum Vorhalt, dass der Vertreter eines Unternehmens nach Südamerika mitgereist sei, bei dem Westerwelles Bruder Anteilseigner ist. Ebenso wenig äußert er sich zu der Kritik, dass ein Parteispender zu seinem Reisetross gehörte. Zumindest in der "Bild am Sonntag" verteidigte Westerwelle seinen Lebensgefährten Michael Mronz, dem vorgeworfen wird, er nutze Auslandsreisen zur Anbahnung privater Geschäfte. Und der "Welt am Sonntag" sagte er, dass es im Auswärtigen Amt ein eingespieltes Verfahren bei der Auswahl der Delegationen gebe.

Der Bonner hält eine politische Grundsatzrede, vielleicht wird es eine seiner wichtigsten sein, denn er muss sich um sein persönliches Ansehen sorgen. Auch in der FDP fragt man sich, ob er eine Wahllokomotive für die nordrhein-westfälischen Freidemokraten sein kann. Es steht außer Frage, dass es ohne Westerwelle partout nicht geht. Der wiedergewählte FDP-Landeschef Andreas Pinkwart stellt sich hinter ihn und beklagt eine "Diffamierungskampagne". Der Parteichef prägt das Bild einer umzingelten FDP, die gegen eine drohende linke rot-grün-rote Übermacht kämpft. "Wenn Leistungsgerechtigkeit rechts ist, dann ist die Diskussion zu weit links", sagt Westerwelle.


Er spricht von "Schöpferkraft" und davon, dass man das Land "zukunfts-, wind- und wetterfest" machen müsse. Er formuliert pathetische Sätze wie: "Es geht darum, welche Geisteshaltung den Zeitgeist der Zukunft prägen soll" oder "Der Veränderungswillen muss sich über den Geist der Verharrung erheben." Westerwelle betont den "Veränderungswillen hin zu einer freiheitlichen Gesellschaft, weg von der Gesellschaft staatlicher Entmündigung". Er beklagt, dass der Beharrungswillen enorm sei in der Bundesrepublik. Westerwelle erzählt davon, dass die "Entwicklungsländer seiner Jugend" aufholten und der Bundesrepublik mittlerweile auf gleicher Augenhöhe begegneten.

Über weite Strecken spricht er leise, staatsmännisch. Seine schärfste Kritik richtet er gegen die Medien. Er fühlt sich diskreditiert und ruft den Medienvertretern zu: "Die veröffentlichte Meinung ist nicht die öffentliche Meinung." Dann versichert er: "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab." Da erheben sich die Delegierten und klatschen.

Mit einer Wagenburg-Mentalität zieht die FDP in den Landtagswahlkampf. Noch acht Wochen sind es bis zum Wahltag am 9. Mai. In den Umfragen fehlt eine Mehrheit für die schwarz-gelbe Landesregierung.

Es ist eine Abstimmung, die weitreichende Konsequenzen auch für den Bund hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vizekanzler Westerwelle fürchten, ihre schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat zu verlieren, wenn es zu einem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen kommt. Für Westerwelle ist die Landtagswahl deshalb von existenzieller Bedeutung. Für ihn ist es nicht weniger als ein "Kampf der Geisteshaltungen in der Republik".