Prof. Wolfgang Franz ist Deutschlands ranghöchster Wirtschaftsweiser. Er spricht über Hartz IV und mögliche Steuererleichterungen.

Hamburg. Die Diskussion um Hartz IV und die umstrittenen Äußerungen von FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle haben eine Debatte in Deutschland ausgelöst: Ist der Sozialstaat, wie wir ihn kennen, am Scheideweg? Das Hamburger Abendblatt sprach mit dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Prof. Dr. Wolfgang Franz ist nicht nur der höchste Wirtschaftsweise, sondern auch ein renommierter Wissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim (ZEW).

Prof. Franz sagte zu den Missverständnissen bei Hartz IV und zu einer „Arbeitspflicht“:
„Es geht um die Realisierung von zwei Grundsätzen beim Arbeitslosengeld II: Das Arbeitslosengeld II ist keine Versicherungs- sondern eine Fürsorgeleistung der Gesellschaft. Sie ist steuerfinanziert, das heißt der Werftarbeiter und die Büroangestellte finanzieren mit ihrem schwer verdienten Geld über ihre Steuern das Arbeitslosengeld II. Und dann haben sie das Recht, eine Gegenleistung zu fordern in Form einer Arbeitsaufnahme und vorzugsweise auf dem ersten Arbeitsmarkt. Und wenn das nicht funktioniert, weil es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, dann eben in einer Arbeitsgelegenheit bei einer Kommune oder einem Wohlfahrtsverband.“

Was das Lohnabstandsgebot bedeutet:
„Der zweite Grundsatz ist das Lohnabstandsgebot. Es müssen finanzielle Anreize vorhanden sein, dass sich eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt mehr lohnt als der Bezug von Arbeitslosengeld II.“

Zum Thema falsche Anreize für Hartz-IV-Bezieher, die Guido Westerwelle besonders kritisiert hatte:
„Unabhängig von dem, was Herr Westerwelle gesagt hat, ist es eine Tatsache, dass für gering qualifizierte Arbeitnehmer mit Familie das Lohnabstandsgebot stark zusammengeschmolzen und in einzelnen Fällen nicht groß genug ist, um eine Arbeitsaufnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt lohnend erscheinen zu lassen.“

Warum arbeiten sich lohnt:
„Es ist doch besser, gering Qualifizierte zu einem vergleichbar geringen Lohn arbeiten zu lassen, als dass sie arbeitslos sind und wir stocken das auf Arbeitslosengeld II auf, so es nicht zum Lebensunterhalt reicht. Das ist doch vernünftiger, als diese Leute auf der Straße stehen zu lassen. Denn Arbeitslosigkeit ist doch ein schweres Schicksal. Wir helfen denen, ihr Selbstwertgefühl nicht zu verlieren.“

Sind Hartz-IV-Empfänger zu bequem?
„Ich gehe davon aus, dass die weitaus überwiegende Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger gerne arbeiten möchte.“

Was der Wirtschaftsweise Prof. Franz vorschlägt:
„Was ich mit meinen Vorschlägen beabsichtige ist: Hartz-IV-Empfänger dürfen mehr als bisher von ihrem auf dem ersten Arbeitsmarkt hinzuverdienten Geld behalten. Wenn sie keinen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsplatz finden, schlage ich vor, dass Arbeitsgelegenheiten bei Kommunen und den Wohlfahrtsverbände eingerichtet werden, wo man allerdings nur die bisherige Höhe des Regelsatzes für das ALG II verdienen kann. Wer allerdings nicht arbeiten möchte, muss einen Abschlag von 30 Prozent wie eigentlich bisher auch schon in Kauf nehmen.“

Zum Thema Steuern und Leistungsgerechtigkeit:
„Rund zehn Prozent der oberen Einkommensempfänger bringen über 50 Prozent des gesamten Steueraufkommens auf. Ein erheblicher Prozentsatz der Geringverdienerhaushalte zahlt überhaupt keine Steuern. Da sehe ich keine schreiende Ungerechtigkeit.“

Was Hartz IV mit Steuersenkungen und dem Gutachten der Wirtschaftsweisen zu tun hat:
„Wir haben gesagt, man kann eine Steuerreform und Steuersenkungen ins Auge fassen, dann muss aber der Steuerausfall seriös gegenfinanziert werden. Die Bundesregierung steht ohnehin vor der Herkulesaufgabe, die exorbitante, aber auch notwendige Neuverschuldung zu verringern. Das bedeutet ohne Steuererleichterungen schon ein Kürzungsvolumen von dauerhaft 37 Milliarden Euro. Wenn dann noch Steuererleichterungen hinzukommen, wird das sehr, sehr schwer. Allein durch Wachstum wird man das nicht gegenfinanzieren können.“

Was im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes steht und was nicht:
„Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gefordert, die Regelsätze zu erhöhen. Ganz im Gegenteil: Es hat gesagt, mit diesen Regelsätzen kommt man im großen und ganzen aus, was das Bundesverfassungsgericht moniert hat, ist, dass einige Aspekte der Berechnungsweise nicht transparent genug seien.“