Holperstart der Regierung, Umfragetief - und jetzt noch eine Führungsdebatte: Der Vorsitzende muss die Liberalen aus ihrem Tief führen.

Hamburg. Die liberalen Minister schwächeln, die Umfragewerte sinken, und prompt hat Guido Westerwelle mit einem innerparteilichen Gegenwind zu tun, den er seit seinem missglückten Projekt 18 von 2002 nicht mehr kannte. Mit seinen aggressiven Äußerungen zur Hartz-IV-Debatte und dem gleichzeitig schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung ist der FDP-Vorsitzende angreifbar geworden. Auch weil er zu Oppositionszeiten die FDP vollends auf seine Person fokussierte, richtet sich der Frust vieler Liberaler vor allem gegen Westerwelle persönlich. Nicht alle seiner Gegner zeigen so öffentlich wie etwa FDP-Vizechef Andreas Pinkwart, dass sie mit dem Parteichef nicht gut können. Manche agieren eher nach innen und versuchen so, die innerparteiliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Westerwelle kennt seine Gegner. Einige von ihnen hat er bewusst in die Parteispitze einbezogen, andere einfach abgeschoben. Zu seiner Machtsicherung hat Westerwelle sich ein Netzwerk aus Ratgebern, Wegbegleitern und strategischen Freundschaften aufgebaut, zu dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehört.

Die Gegner

Andreas Pinkwart, einer von drei Stellvertretern Westerwelles im Parteivorsitz, kämpft in Nordrhein-Westfalen um sein politisches Überleben. Die Wiederwahl von Schwarz-Gelb am 9. Mai erscheint unsicherer denn je. Pinkwart nutzt derzeit jede Chance, sich von der taumelnden Bundespartei abzugrenzen. Zuletzt tat er das besonders geräuschvoll, indem er eine stärkere Teamarbeit in der Parteiführung forderte und "mehr Gesichter im Vordergrund" sehen wollte. Pinkwart kann sich die Angriffe auf Westerwelle leisten. Die FDP braucht den Erfolg in NRW, um ihre schwarz-gelbe Mehrheit auch im Bundesrat zu halten. Zugleich bekommt Pinkwart ständig zu spüren, dass Westerwelle nichts von ihm hält. Über dessen Vorschlag, die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie auszusetzen, wollte Westerwelle nicht einmal diskutieren. Doch der Parteichef muss den Vize erdulden. Pinkwart vertritt als FDP-Landesvorsitzender im Westen fast ein Viertel aller Parteimitglieder.

Aus dem Landesverband kommt auch Ulrike Flach. Die Vize-Fraktionschefin im Bundestag sprang Pinkwart in der Führungsdebatte bei und entlud ihren Frust über Westerwelle in noch schärferer Form: "Die Oppositionszeit, in der wir uns auf eine Person konzentrieren mussten, ist vorbei." Flach ist 59 Jahre alt. Sie hat nichts mehr zu verlieren und nichts mehr zu gewinnen. Ihrem Landeschef wollte sie offenbar diesen Gefallen noch tun.

Zu den prononcierten Gegenspielern des Parteichefs gehört seit Jahren Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Er war mit Jürgen Möllemann befreundet, sie halfen sich in ihren Wahlkämpfen. Nach dem Tod Möllemanns sagte Kubicki, der Verstorbene habe mehr für die FDP getan als jene, die seine persönliche Integrität in Zweifel zögen. Ein Satz, der in Richtung Westerwelle formuliert war. Kubicki nahm noch nie Rücksicht auf ihn. Auch zuletzt nicht, als er der FDP"eine gewisse Auflösung der Ordnung" bescheinigte.

Machtlos und trotzdem einflussreich ist bis heute Wolfgang Gerhardt. Von Westerwelle abgeschoben, erst vom Partei-, dann vom Fraktionsvorsitz, stand Gerhardt im Herbst nicht einmal mehr auf Westerwelles Liste ministrabler Parteifreunde. Gerhardt darf nur die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung führen, aber nutzt diesen Absender, um hin und wieder seinen Unmut über den Parteichef zu äußern, wenn auch stets indirekt. Zuletzt sprach er von einer "ausgesprochen schwierigen Lage" der Partei. Allein, dass er sich in die Debatte einmischte, war schon Signal genug.

Die Vertrauten

Wenn es heikel wird, dann gibt es für Westerwelle Hans-Dietrich Genscher. In den vergangenen Tagen gab es bekanntlich gleich mehrfach heikle Situationen, und Genscher soll dem Parteichef geraten haben, jetzt bloß nicht umzufallen. Westerwelle sind Genschers Worte heilig: Auch in der Außenpolitik sucht er den Rat des Ex-Außenministers und beruft sich etwa im Umgang mit Polen auf Genscher. Dafür hat er sich den Spitznamen "Guido Genscher" eingehandelt.

Noch wichtiger als Genscher ist für Westerwelle ein gewisser Martin Biesel. In der Öffentlichkeit völlig unbekannt, steht Biesel als Ex-Büroleiter und jetziger Staatssekretär im Außenministerium hinter fast jeder Entscheidung seines Chefs. Biesel gilt als wichtigster Strippenzieher des FDP-Chefs. In den Koalitionsverhandlungen hieß es, Biesels Wort habe mehr Gewicht gehabt als das vom damaligen FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Aber auch Niebel steht im engsten Vertrauenszirkel des Parteivorsitzenden. Westerwelle hat seinen Erfolg bei der Bundestagwahl auch dem langjährigen und stets emsigen Generalsekretär zu verdanken. Niebels Loyalität belohnte der Chef mit einem Ministerposten und kann sich als Gegenleistung auf bleibende Treue verlassen.

Spätestens seit Westerwelles Bundestagswahlkampf ist offenkundig, dass der FDP-Chef seinen Lebenspartner Michael Mronz auch in der Politik als Berater schätzt. Mronz stand bei Kundgebungen mit auf der Bühne und begleitete ihn mehrmals auf Auslandsreisen, zuletzt mehrere Tage in Asien.

Und die Kanzlerin?

Meistens kann sich Westerwelle auf Angela Merkel verlassen. Die Oppositionszeit hat sie einander vertraut gemacht. Auch dass beide aus der CSU heraus aufgrund ihrer Biografien angegriffen wurden - die "Protestantin aus dem Osten" und der "Junggeselle aus Bonn" - hat sie miteinander verbunden. In der gemeinsamen Regierung aber hält Merkel mehr Distanz zum Vize, als ihm lieb ist. Die Kanzlerin lässt Westerwelle spüren, dass sie die CDU grüner machen will und im Atomkraft-Kurs hinter Umweltminister Norbert Röttgen steht. In der Hartz-IV-Debatte missbilligte sie sogar Westerwelles Wortwahl. Dann aber stimmte sie seinem Wunsch nach einer Generaldebatte zum Sozialstaat zu. Zweimal hintereinander konnte auch sie ihn nicht auflaufen lassen.