Die Kanzlerin: Der Vorstoß zu kürzeren AKW-Laufzeiten stehe nicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag.

Berlin. Der Bundesumweltminister im Sturm der Atom-Ausstiegsdebatte: Gestern bekam Norbert Röttgen Rückendeckung von ganz oben, nachdem er vorher von der CDU-Fraktionsspitze attackiert worden war. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm ihren Minister in Schutz. Sie ließ durch Regierungssprecher Ulrich Wilhelm daran erinnern, dass sich Röttgen "auf der Grundlage des Koalitionsvertrages" geäußert habe.

Darin sei festgehalten, dass die Kernenergie eine Brückentechnologie sei, bis sie verlässlich durch erneuerbare Energie ersetzt werden könne. Der Bundesumweltminister hatte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" seine eigene Partei zum Abschied von der Kernenergie aufgerufen.

Das hatte heftige Gegenreaktionen ausgelöst, unter anderem von Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. ("Statt sich den Grünen an den Hals zu werfen, sollte Herr Röttgen lieber versuchen, die Energiepreise in Schach zu halten".) In der Union war man gestern bemüht, den Streit deutlich tiefer zu hängen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, das Präsidium habe "einmütig festgestellt, dass es bei der Vorstellung der Kernenergie als Brückentechnologie in das Zeitalter der regenerativen Energien bleibt, dass wir insofern auch bereit sind zu Laufzeitverlängerungen". Er räumte allerdings ein, dass die Reaktionen auf Röttgen "zum Teil heftig" gewesen seien. Es sei der Eindruck entstanden, der Bundesminister habe die Verlängerung der Atom-Laufzeiten insgesamt in Zweifel gezogen. Er habe aber "alles Verständnis" dafür, dass Röttgen "möglichst schnell als zuständiger Minister im Zeitalter der regenerativen Energien ankommen" wolle.

Regierungssprecher Wilhelm ergänzte, die konkrete Ausgestaltung, welche Energieträger in einem Mix für welchen Zeitraum eine Rolle spielen würden, werde wie vereinbart bis zum Herbst im Rahmen des geplanten Energiekonzepts der Regierung erarbeitet. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken Röttgens gegenüber der geplanten Abschöpfung von Zusatzgewinnen der Energie-Unternehmen aus Atomkraft, sagte Wilhelm, dieses Problem sei "rechtlich anspruchsvoll, aber gut lösbar". Röttgen hatte davor gewarnt, der Staat müsse den Anschein vermeiden, dass er Sondergewinne abschöpfe und dafür Zugeständnisse bei der Sicherheit mache.

Nach Auffassung Röttgens sollte die Laufzeit der Atomkraftwerke zwar, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, verlängert werden, jedoch 40 Jahre nicht überschreiten. Der von Rot-Grün vereinbarte Atomausstieg sah etwa 32 Jahre vor. Mit seinen Aussagen hatte Röttgen auch für harsche Kritik aus der FDP gesorgt. Gestern stellten sich mehrere CDU-Landeschefs hinter Röttgen. Peter Müller (CDU), der im Saarland nicht nur mit der FDP, sondern auch mit den Grünen regiert, sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden." Änderungen, die das Ziel hätten, die Laufzeiten zu verlängern, werde das Saarland nicht zustimmen. Auch die Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) stimmte Röttgen zu. Die Kernenergie sei eine Übergangstechnologie, Laufzeiten für Atomkraftwerke sollten "nicht über die Maßen verlängert werden".

FDP-Generalsekretär Christian Lindner warf Röttgen hingegen vor, er habe die Linie der Koalition "verunklart" und kapituliere vor diffusen Ängsten in der Bevölkerung. Der Umweltminister müsse aus den "schwarz-grünen Blütenträumen aufwachen". Es sei eine Chance für das Land, mit den Erlösen aus der Laufzeitverlängerung die Energiewende zu finanzieren. Die Koalition solle noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai Klarheit schaffen.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: "Hier wird grüner Nebel produziert, damit man die schwarzen Löcher vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen nicht sieht." Röttgens Vorstoß sei der Versuch der CDU, die FDP auszubooten. Nahles forderte die Grünen auf, "dieser Phantomdebatte nicht auf den Leim zu gehen". Inhaltlich habe Röttgen bei der Laufzeitverlängerung keine neue Position bezogen, sagte Nahles.