Die Basis will sich auf dem Parteitag Luft machen, und der designierte Parteichef Sigmar Gabriel übt sich in kleinen Demutsgesten.

Berlin. Morgen wollen die Sozialdemokraten in Dresden ihre neue Führungsspitze wählen, aber unmittelbar vor dem Parteitag sieht es düster aus. Die SPD kommt aus ihrem Stimmungstief einfach nicht heraus. Laut Forsa-Umfrage liegt sie bei 20 Prozent, und das lässt nur eine Deutung zu: Nur jeder fünfte Deutsche glaubt, dass der designierte Parteivorsitzende Sigmar Gabriel die Partei aus der Krise führen kann.

Und wenn man schon kein Glück hat, kommt bekanntlich auch noch Pech dazu: Knapp 48 Stunden vor Beginn des Parteitags hat sich Gabriel gestern krankgemeldet und alle aktuellen Termine abgesagt. Zwar hieß es gestern aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus, der 50-Jährige werde "aller Voraussicht nach" heute Nachmittag trotzdem an den Vorbereitungstreffen der Parteigremien teilnehmen, aber ein schlechtes Omen ist es allemal. Ausgerechnet ein gesundheitlich angeschlagener Mann stellt sich also morgen zur Wahl, um eine schwer angeschlagene Partei in eine bessere Zukunft zu führen.

Die Jusos sind zur designierten Führungsspitze bereits auf Distanz gegangen. Die Bundesvorsitzende Franziska Drohsel sagte, die SPD müsse sich ihrem "Gerechtigkeitsdefizit" stellen. In den elf Jahren, in denen die Sozialdemokraten an der Bundesregierung beteiligt gewesen seien, habe sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet!

Dass man ihn dafür in Mithaftung nehmen wird, scheint Gabriel bereits vorauszuahnen. Zwar sei er auch als Minister und Mitglied des Parteivorstandes nicht mit allem einverstanden gewesen, was die SPD in der Regierung umgesetzt habe, sagte Gabriel im Vorfeld des Parteitags, er fühle sich "aber mitverantwortlich für die Dinge, die wir falsch gemacht haben". Ob den 525 Delegierten solche kleinen Demutsgesten reichen? Die Wahlniederlage sei "eine Zäsur", heißt es auf der ersten Seite des Leitantrags der Parteiführung. Tatsächlich hat sich die Anzahl der SPD-Wähler seit 1998 auf zehn Millionen halbiert. Wie sehr die frustrierten Genossen ihrer Missstimmung freien Lauf lassen werden, ist noch nicht absehbar. Der alten und der neuen Führung droht womöglich eine Abrechnung.

Fest steht: Gabriel soll Nachfolger des glücklosen Franz Müntefering werden. Mit Blick auf die großen Schuhe, von denen in der SPD immer die Rede ist, wenn die Wahl eines Parteivorsitzenden ansteht, stärkte Ex-Parteichef Kurt Beck Gabriel gestern den Rücken. "Wenn ich all die nostalgischen Rückblicke auf große Persönlichkeiten in unserer Parteigeschichte höre", sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident der Mainzer "Allgemeinen Zeitung", "dann gebe ich zu bedenken: Auch da hat immer jemand neu angefangen."

Der Parteitag beginnt morgen mit der Abschiedsrede von Franz Müntefering, danach wird sich die Basis Luft machen. Anschließend wird Gabriel sprechen, danach wird gewählt. Zuerst der Parteivorsitzende, dann seine vier Stellvertreter. Für diese Posten kandidieren die nordrhein-westfälische Landeschefin Hannelore Kraft, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz und Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig. Danach stellt sich die designierte Generalsekretärin Andrea Nahles zur Wahl.

Am Sonnabend wird dann der neue Bundestagsfraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier sprechen. Der gescheiterte Kanzlerkandidat. Auch auf diese Rede darf man gespannt sein. In der Debatte über den künftigen Kurs der SPD hat Steinmeier seine Genossen in den zurückliegenden Wochen ja deutlich vor einem Linksruck gewarnt, während sich Klaus Wowereit an die Spitze derer setzte, die eine Koalition mit der Linkspartei im Bund nicht länger tabuisieren wollen.