Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) warnt die schwarz-gelbe Bundesregierung davor, die Steuern rasch zu senken.

Hamburg/Magdeburg. Hamburger Abendblatt: Herr Ministerpräsident, die neue Bundesregierung hat die Arbeit aufgenommen. Was ist besser an Schwarz-Gelb als an Schwarz-Rot?

Wolfgang Böhmer: Schwarz-Rot war gar nicht so schlecht. Die Große Koalition hat gute Arbeit geleistet. Aber am Ende waren die Gemeinsamkeiten erschöpft. Mit der FDP haben wir neue Möglichkeiten.

Abendblatt: Schwarz-Gelb will die Steuern massiv senken und damit Wirtschaftswachstum stimulieren. Geht die Rechnung auf?

Böhmer: Diese Rechnung ist nicht völlig falsch. Aber die Voraussetzungen dafür sind in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich. Das wird beim Abstimmungsverhalten im Bundesrat durchschlagen.

Abendblatt: Was bedeuten die Steuerpläne für ärmere Bundesländer wie Sachsen-Anhalt?

Böhmer: Die Große Koalition hat ja schon Steuersenkungen im Gesamtumfang von zehn Milliarden Euro beschlossen. Eine Erhöhung auf 24 Milliarden Euro wäre in der gegenwärtigen Situation für Sachsen-Anhalt nicht zumutbar. Noch mehr Schulden können wir nicht aufnehmen.

Abendblatt: Sie lehnen weitere Steuersenkungen ab.

Böhmer: Wenn die Wirtschaft wieder anspringt und die Steuereinnahmen fließen, kann man an eine Entlastung der Bürger denken. Solange wir die wirtschaftliche Talsohle nicht durchschritten haben, darf es keine massiven Steuersenkungen geben. Union und FDP haben in ihre Koalitionsvereinbarung einen zentralen Satz aufgenommen: Alle Vorhaben stehen unter Haushaltsvorbehalt.

Abendblatt: Wären die beabsichtigten Entlastungen mit dem Grundgesetz vereinbar?

Böhmer: Da bin ich mir nicht sicher. Wenn ein Bundesland durch Steuergesetze des Bundes gezwungen wird, gegen die Schuldenbremse zu verstoßen, sollte man über eine juristische Überprüfung nachdenken.

Abendblatt: Sie sprechen von einer Verfassungsklage?

Böhmer: Zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch kein Thema. Im Koalitionsvertrag stehen ja vor allem Absichtserklärungen. Wolfgang Schäuble wird sorgfältig prüfen müssen, was sich davon umsetzen lässt und was nicht.

Abendblatt: Sie haben einmal als Arzt gearbeitet und kennen das Gesundheitswesen aus der Innenperspektive. Ist es sinnvoll, den Gesundheitsfonds wieder abzuschaffen?

Böhmer: Der Gesundheitsfonds wird nicht abgeschafft. Er soll modifiziert werden, aber von einer Abschaffung ist im Koalitionsvertrag nicht die Rede.

Abendblatt: Schwarz-Gelb will einen Systemwechsel einleiten.

Böhmer: Das Gesundheitswesen ist ein Bereich, wo das Angebot sich die Nachfrage selbst schafft. Die Ausgaben steigen von Jahr zu Jahr - unabhängig davon, wer regiert. Wir müssen das System korrigieren, um die Kosten zu begrenzen. Vor allem dürfen die Lohnzusatzkosten nicht immer weiter steigen. Daher ist es notwendig und sachgerecht, den Arbeitgeberanteil einzufrieren.

Abendblatt: Welche Handschrift trägt dieser Koalitionsvertrag eigentlich?

Böhmer: Dazu muss ich mich doch nicht auch noch äußern. Der eine sagt: Wir haben 20 von 20 Punkten durchbekommen. Der Nächste sagt: Das ist genau unsere Handschrift. Da kann ich nur schmunzeln.

Abendblatt: In einem Fünfparteiensystem können Union und FDP nicht darauf vertrauen, dass es immer reicht für Schwarz-Gelb. Ist die Jamaika-Koalition, die jetzt im Saarland entsteht, ein Modell für den Bund?

Böhmer: Wenn Jamaika in einem Land funktioniert, wird es im Gespräch bleiben - auch für den Bund. In allen Parteien gibt es Entwicklungen. Niemand hätte vor 20 Jahren geahnt, wie sich die Grünen entwickeln. Ich bin da relativ offen.

Abendblatt: Der künftige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus sagt: Jamaika ist unterirdisch ...

Böhmer: Dieser Satz würde mir nicht über die Lippen kommen. Das Saarland existiert ja nicht unter der Erde.

Abendblatt: Professor Böhmer, für den Aufbau Ost ist nun der Innenminister zuständig und nicht mehr der Verkehrsminister. Was muss Thomas de Maizière leisten 20 Jahre nach dem Mauerfall?

Böhmer: Ich denke, als Aufbau-Ost-Minister relativ wenig. Wir stehen ja nicht am Anfang dieser Entwicklung. Ein Minister für Aufbau Ost kann nur für eine Übergangsphase sinnvoll sein. Wir sind stolz, wie weit der Aufbau schon fortgeschritten ist, und wir haben ja auch keinen Minister für Norddeutschland oder für Süddeutschland.

Abendblatt: Es gibt Beschwerden, im Bundeskabinett seien zu wenig Ostdeutsche vertreten ...

Böhmer: Wenn ich das schon höre! Was soll dieses Aufrechnen? Mir ist egal, ob jemand aus Sachsen-Anhalt dabei ist. Ich kann mir auch von Magdeburg aus Gehör verschaffen, wenn ich Probleme habe mit dem Geschehen in Berlin.