Bürgergeld statt Hartz IV, gelockerter Kündigungsschutz, Abschaffung der Rente mit 67: FDP-Präsidiumsmitglied Philipp Rösler fordert harte Koalitionsverhandlungen mit der Union.

Berlin. Nicht nur die Bundeskanzlerin, auch die FDP würde gern am 9. November den 20. Jahrestag des Mauerfalls mit einer neuen Regierung begehen. Aber dass die Liberalen nicht jeden Wunsch der Kanzlerin erfüllen werden, das machte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel selbst in der Frage des Wunschdatums für die schwarz-gelbe Regierung gestern deutlich. Wenn die Koalitionsverhandlungen länger dauerten, sagte er, sei das auch "kein Problem für Deutschland". Auch FDP-Präsidiumsmitglied Philipp Rösler wandte sich strikt gegen Zeitvorgaben. Dem Abendblatt sagte er: "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Die Verhandlungen müssen ohne Zeitvorgabe geführt werden."

Der Zeitplan könnte in der Tat angesichts der sich auftuenden Konfliktfelder zwischen Union und FDP bereits vor Beginn der Koalitionsverhandlungen am Montag gehörig durcheinandergeraten. Die FDP will mit einem umfangreichen Forderungs-Katalog der Union ihre Grenzen aufweisen: Lockerung des Kündigungsschutzes, Abschaffung des Gesundheitsfonds und der Wehrpflicht, Auflösung der Bundesanstalt für Arbeit - es sind nicht weniger als die Kernpunkte des FDP-Wahlprogramms. Die Partei gehe angesichts ihres guten Wahlergebnisses "mit großem Selbstbewusstsein in die Gespräche". Es gilt daher als wahrscheinlich, dass die Union mit der FDP zuallererst Themenbereiche mit großen Übereinstimmungen behandeln wird. Schließlich will die künftige Regierung zeigen, dass sie ergebnisorientiert arbeitet und schnell Ergebnisse bringen kann. Die Fragen zur Zukunft des Gesundheitsfonds oder zum Kündigungsschutz gehören sicher nicht dazu. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt schoss schon gegen die FDP. Sie solle sich nicht "in rückwärtsgewandten Debatten über die Einschränkung des Kündigungsschutzes verkämpfen".

Niedersachsens Wirtschaftsminister Rösler warnte dagegen die Union vor vorschneller Kritik an der FDP. "Unsere Forderungen treffen diejenigen, die jetzt in Arbeit sind, überhaupt nicht", sagte er. "Ein gelockerter Kündigungsschutz ist eine Chance für jeden Arbeitslosen, überhaupt Arbeit zu bekommen." An der Frage des Kündigungsschutzes werde deutlich, "wer Politik für den Einstieg von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt macht und wer nicht", warb Rösler für das FDP-Modell. Ein weiteres FDP-Modell, das Rösler unbedingt im Koalitionsvertrag sehen will, ist das Bürgergeld, das flexiblere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Geringverdiener vorsieht: "Wer arbeitet, soll deutlich mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Das Bürgergeld wird dem gerecht. Deswegen muss die FDP in den Koalitionsverhandlungen darum werben", gab Rösler den FDP-Verhandlungsführern mit auf den Weg und rechnete die Vorteile des Bürgergelds vor: "Wer im Moment als Hartz-IV-Empfänger in einem sogenannten Midi-Job 600 Euro brutto hinzuverdient, darf davon 138 Euro behalten. Nach unserem Modell dürfte er 285 Euro behalten." Man könne das Bürgergeld kostenneutral umsetzen, und der Arbeitnehmer würde profitieren. "Wir brauchen ein System, das die Arbeitsaufnahme attraktiver macht als das bisherige System", unterstrich Rösler seine Forderung. Auch das Renteneintrittsalter muss nach dem Willen des Ministers aufs Koalitionstableau. "Die Rente mit 67 muss Thema in den Verhandlungen werden", sagte er. "Wer mit 60 Jahren aufhören will, muss das - unter Abschlägen - auch dürfen. Und wer länger als bis 67 arbeiten will, muss das auch dürfen. Wir wollen keine Grenzen nach oben, wohl aber eine Grenze nach unten." Zugleich ließ Rösler keinen Zweifel daran, dass sich Union und FDP auf eine grundlegende Steuerreform einigen werden: "Frau Merkel hat davon gesprochen, auch die CSU hat sich festgelegt. Union und FDP sind sich einig: Die beste Grundlage für Wachstum sind niedrige Steuersätze." Nur wann soll die Steuerreform kommen? CDU und CSU wollen heute erst einmal ihren Kurs für die Gespräche abstecken. Ob dabei schon ein Datum für die geplanten Steuerentlastungen festgelegt wird, ist fraglich.

Unstrittig hingegen ist der Fahrplan für die Verhandlungen - aber der Kreis der Unterhändler für die Koalitionsgespräche wird größer als bisher angenommen. Aus Kreisen von CDU und CSU verlautete gestern, jede der drei Parteien solle nun neun Mitglieder in die zentrale Verhandlungsrunde entsenden. Vorher war zunächst von etwa sieben Vertretern pro Partei die Rede gewesen. Jetzt kommen offenbar insgesamt 27 Vertreter zusammen.

Für die CDU sollen Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel, die vier Parteivizes Christian Wulff, Jürgen Rüttgers, Roland Koch und Annette Schavan, Generalsekretär Ronald Pofalla, Fraktionschef Volker Kauder, Kanzleramtsminister Thomas de Maizière und Innenminister Wolfgang Schäuble am Verhandlungstisch sitzen. Anfangs war auch der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen genannt worden. Die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation sei nicht als Vorentscheidung für etwaige Ministerämter zu werten, hieß es in der Union.

Bei der CSU gehören der Verhandlungsdelegation an: Parteichef Horst Seehofer, Landesgruppenchef Peter Ramsauer, die Minister Karl-Theodor zu Guttenberg und Ilse Aigner, Generalsekretär Alexander Dobrindt, die bayerischen Minister Georg Fahrenschon und Markus Söder sowie die stellvertretenden CSU-Vorsitzenden Beate Merk und Barbara Stamm.

Die FDP hatte sich gestern noch nicht festgelegt. Verhandeln dürften neben Parteichef Guido Westerwelle auch Generalsekretär Dirk Niebel, die Parteivizes Rainer Brüderle, Hermann Otto Solms, Cornelia Pieper und Andreas Pinkwart und die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie Birgit Homburger, eventuell auch die Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin.

Geplant ist, dass bei der ersten Koalitionsrunde zwischen acht und zehn Arbeitsgruppen eingesetzt werden, die am 6. Oktober erstmals tagen sollen.