Ihre Wahlkämpfe waren keine Kämpfe. Merkel und Stein-meier würden wohl erneut miteinander koalieren.

Hamburg/Berlin. Was die Kanzlerin und ihr Stellvertreter zuletzt betrieben haben, nennt sich unter normalen Umständen "heiße Wahlkampfphase". Doch die vergangenen Wochen waren weder heiß noch kämpferisch. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier scheinen zufrieden mit den vergangenen vier Jahren gemeinsamen Regierens, und sie hätten nichts gegen eine Fortsetzung ihres Bündnisses.

Gerade der bemerkenswerte Zusammenhalt in der Wirtschaftskrise gab beiden kaum Anlass, nun aufeinander einzuhacken. Als ob sie sich still verständigt hätten, setzten sie in ihren Wahlkämpfen mehr auf Konsens als auf Konfrontation. Am klarsten war dieser Konsens beim TV-Duell zu beobachten, als sich das Duo in Eigenlob gefiel. Bei dieser Werbeveranstaltung für die Arbeit von Schwarz-Rot war kaum Distanz erkennbar. Merkel lieferte den Zuschauern nicht einmal eine Begründung, weshalb sie lieber mit der FDP weiterregieren wolle.

Die CDU-Vorsitzende wird Kanzlerin bleiben, sollte die FDP auf ihrer Ampel-Absage beharren. Aber ob Merkel mit den Liberalen oder den Sozialdemokraten regiert, das scheint für sie nebensächlich. "Zerrissen" sei die SPD - schärfer wollte Merkel im Wahlkampf Steinmeier nicht angreifen. Nicht nur die Tonlage, auch bei den Inhalten blieb Merkel zurückhaltend. Ohne ein wahrnehmbares Programm buhlte sie um das Wahlvolk: keine Themen, also keine Fehler - so könnte man die Strategie der Kanzlerin deuten. Ihre Reformpläne im Wahlkampf 2005 hatten die Wähler noch verschreckt. Diesmal verzichtete Merkel ganz auf harte Wahrheiten und verließ sich allein auf ihre Beliebtheit im Land. Das Programm 2009 war sie selbst. Merkel setzte auch im Wahlkampf auf ihren präsidialen Stil als Moderatorin und Verwalterin der Republik.

"Wir wählen die Kanzlerin" steht auf ihren Wahlplakaten. Aber Kanzler werden nicht direkt gewählt. Und Merkels Kalkül, ihre persönlichen Umfragewerte auf die Union übertragen zu können, ist nicht aufgegangen. Wie soll sonst der Appell von Hessens Regierungschef Roland Koch an seine Partei gedeutet werden, endlich die Zuschauertribüne zu verlassen? Wie ist sonst das spontane Sofortprogramm der CSU zu erklären? Schon früh hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger die Kanzlerin gewarnt: "Im Schlafwagen werden wir nicht ankommen."

Die Solidarität der Christdemokraten mit der Parteivorsitzenden ist in diesem Wahlkampf an ihre Grenzen gestoßen. Verspielt Merkel zum zweiten Mal nach 2005 einen möglichen Sieg von Union und FDP, wird sie allein als Schuldige ausgemacht. Reicht es für Schwarz-Gelb, hat die Kanzlerin ihr Soll erfüllt, mehr nicht. Merkel kann bei dieser Wahl viel verlieren, selbst wenn sie weiterregiert. Denn die Fortsetzung von Schwarz-Rot wäre ein Wagnis: Zu groß wäre die Versuchung für die SPD, mit Linkspartei und Grünen schon vor 2013 zu paktieren. Kommt es erneut zur Großen Koalition, müsste Merkel mittelfristig wohl darüber nachdenken, den CDU-Vorsitz abzugeben. Zum einen, um die Partei ruhigzustellen, zum anderen, um der CDU mehr zu geben als das Gesicht einer Kanzlerin. Nämlich Profil.

Seine Partei ruhigzustellen wird auch für SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier das nächste Großprojekt nach der Wahl. Führt Steinmeier die Sozialdemokraten erneut in eine Große Koalition, rettet er zuerst sich selbst. Den Richtungsstreit und die lauter werdenden Sympathiebekundungen für ein Linksbündnis wird er kaum aufhalten können. Und doch könnte Steinmeier am Sonntag sogar unter das bislang schlechteste SPD-Ergebnis von 28,8 Prozent aus dem Jahr 1953 fallen, ohne Schaden zu nehmen. Er müsste nur Schwarz-Gelb verhindern. Holt er 30 Prozent oder gar mehr, die SPD würde ihn zumindest kurzzeitig hochleben lassen. Steinmeier selbst wird ab Sonntagabend alles daran setzen, doch noch mithilfe von FDP und Grünen Kanzler zu werden. Inzwischen wird sogar vermutet, dass Steinmeier seine Ämter als Außenminister und Vizekanzler aufgeben und sich bereits am Dienstag zum Fraktionschef wählen lassen will. Gut möglich, dass er spätestens 2011 Franz Müntefering im Parteivorsitz nachfolgt. Im Moment hat Steinmeier Aufwind - und den wird er nutzen.

Ein Erfolg war sein Wahlkampf trotzdem nicht. Er begann sogar als Katastrophe: Die Europawahl im Juni endete mit 20,8 Prozent im Fiasko. Dann fuhr Ulla Schmidt in den Urlaub und kam mit einer Dienstwagen-Affäre zurück, die auch Steinmeier in Bedrängnis brachte. Erst durfte die Gesundheitsministerin nicht in sein Schattenkabinett, dann auf einmal doch. Entschlusskraft sieht anders aus. Zu der Zeit wollte Steinmeier eigentlich mit seinem Deutschland-Plan punkten. Sein Sammelsurium an Ideen, wie das Land bis 2020 in Vollbeschäftigung kommen könne, löste ein geteiltes Echo aus. Doch bei den Wählern blieben seine Pläne hängen: In einer aktuellen Umfrage von "Stern" und "RTL" bescheinigen 66 Prozent dem SPD-Kandidaten, er habe Visionen für die Zukunft. Bei Merkel glauben das nur 58 Prozent.

Dabei musste der Kandidat lange nach dem passenden Stil suchen. Zu gekünstelt, zu hölzern, zu bedächtig, zu zaghaft sei er, warfen ihm die Kritiker vor. Der Herausforderer haderte anfangs mit seiner Rolle: morgens am Kabinettstisch mit der Kanzlerin regieren, abends im Wahlkampf Merkel attackieren - daran musste sich Deutschlands Chefdiplomat erst gewöhnen. Fast scheint es, als hätten die Deutschen den Kandidaten in den letzten Wahlkampf-Wochen erst richtig kennengelernt. Das lag am Außenminister selbst: Sehr spät weckte er das "Political Animal" in sich. Ausgerechnet das langweilige TV-Duell wurde als sein Durchbruch gewertet. Steinmeier war da nicht unbedingt besser als Merkel, aber besser, als man ihn erwartet hatte. Auch weil es ihm endlich gelang, seine Sätze ohne mehrfache Verschachtelung zu formulieren.