Es ist die Sensation dieses Superwahljahres: In Monheim besiegte eine Jugendpartei die Etablierten, und ihr Spitzenkandidat Daniel Zimmermann (27) wird Bürgermeister. Wie man mit kleinem Programm und großem Selbstbewusstsein Wähler gewinnt - eine Reportage von Irene Jung.

Monheim. So ganz können sie es noch nicht fassen: Über Nacht gehören sie zu den gefragtesten Nachwuchspolitikern Deutschlands. Sie hätten eben einen sehr intensiven Wahlkampf gemacht, sagen Daniel Zimmermann (27) und Lisa Riedel (22). Aber allein daran kann es nicht liegen, dass das 43 000-Einwohner-Städtchen Monheim am Rhein plötzlich bundesweit in die Nachrichten geraten ist.

Denn in Monheim hat die ganz junge Politik gesiegt. Die Peto-Partei (lateinisch: peto = ich fordere), vor zehn Jahren von Schülern gegründet, stellt jetzt mit dem Romanistik-Doktoranden Zimmermann Deutschlands jüngsten Bürgermeister und mit Riedel die jüngste Fraktionsvorsitzende. Sie haben nicht nur den CDU-Favoriten aus dem Feld geschlagen, sondern auch die Kandidaten von SPD, Grünen, FDP, Linke und der Wählervereinigung "Menschen für Monheim".

Jetzt stehen die Telefone im Rathaus nicht mehr still, Reporter geben einander die Klinke in die Hand. In diesem bislang so ereignislosen Wahlkampfherbst ist man ja froh über jeden Ausreißer, wittert hinter jeder Exotik einen Trend.

Daniel Zimmermann geht schon mal voraus und schaltet die Deckenbeleuchtung ein: ein schöner großer Ratssaal, wie ein Fernsehgericht. Gern setzt er sich fürs Foto vorn auf den Bürgermeistersessel unter das Stadtwappen mit der Gänseliesel. Ein unaufgeregter, freundlicher junger Mann in Jeans, der sich hier offenbar schon ganz wohl fühlt, auch wenn er das Amt erst im Oktober von seinem Vorgänger Dr. Thomas Dünchheim (CDU) übernimmt.

Also, warum hatte Peto nun solchen Erfolg? Im Fraktionsbüro, wo gerade mal Platz ist für sieben Leute, einen PC und zwei australische Blattpflanzen, hängt noch das früheste Wahlkampf-Plakat: Zimmermann in Jeansjacke vor einer Hüpfburg. Auf dem letzten weist er im grauen Anzug mit Stadtplaner-Pose in die Weite. "Du bist eigentlich im Wahlkampf immer seriöser geworden", findet Lisa Riedel und grinst.

Peto für Kinder- und Jugendeinrichtungen; für den Erhalt von Sportstätten, bessere Einkaufsmöglichkeiten, eine Belebung der Altstadt: Zumindest plakatmäßig ist Peto in Monheim führend. Aber statt gestylter Models sind da echte Monheimer abgebildet (unter anderem Lisa Riedels Großeltern), und Peto-Mitglieder versorgten eigenhändig alle Haushalte mit Material. "Wir haben keine Agentur engagiert, sondern alles selber gemacht", sagt Zimmermann.

Peto setzte ganz auf Jugendliche und junge Familien. Das Baby-Begrüßungsprogramm, bei dem eine Sozialarbeiterin sämtliche Neugeborenen und ihre Familien in Monheim besucht, soll ausgeweitet werden - die CDU im Stadtrat hatte sich gegen das Projekt lange gewehrt. Peto will eine Skatebahn für Jugendliche, ein Filmangebot, weil es kein Kino gibt ... In Sachen Familie hat Peto den anderen Parteien mal eben den Rang abgelaufen.

So exotisch der Wahlausgang jenseits der Stadtgrenzen erscheinen mag, wirkt Monheim selber nun wirklich nicht. Der Ort schmiegt sich in ein Rhein-Knie zwischen Düsseldorf und Leverkusen. 13 Schulen, ein Gewerbegebiet, eine schnuckelige kleine Altstadt mit netten Kneipen, eine "Plattenbausiedlung" aus den Siebzigern und ein unpersönliches "Rathaus-Center" mit Schuhdiscounter, Drogeriemarkt und Eisdiele.

Besonderheiten gelten jedoch bei den Kommunalwahlen: keine Fünf-Prozent-Klausel, Wahlalter 16 Jahre und der Bürgermeister wird direkt und mit einfacher Mehrheit für sechs Jahre gewählt. Kleine Protest- und Piratenparteien haben also bessere Chancen als bei Landtags- oder Bundestagswahlen.

Und diese Chance haben die Monheimer genutzt: CDU und SPD verloren diesmal zusammen neun Sitze, davon fünf an Peto und je einen an Grüne, FDP, Linke und Wählervereinigung. Monheims Stadtrat ist jetzt sehr bunt. Ist das ein Trend?

Mitten im Gespräch mit dem neuen Bürgermeister platzt ein älterer Herr im Blaumann ins Fraktionsbüro: Gustav Adam möchte Daniel Zimmermann alles Gute wünschen. Weil es ihn empört, dass die CDU zwei Monheimer Sportanlagen schließen und als Bauland verkaufen will. Deshalb ist er unter Protest aus der "Sportgemeinschaft Monheim" ausgetreten. Der Vereinsvorsitzende, ein CDU-Ratsherr, wolle sich doch nur mit "Kadern" umgeben, schimpft Herr Adam, "aber dat is doch wischtisch, dat man den Breitensport fördert!"

Er selbst könne nach einem Schlaganfall schon wieder auf einem Bein stehen, was er gleich mal vorführt. "Un dat kann isch, weil isch da trainieren konnte!" Zum Abschied schüttelt er Zimmermanns Hand wie einen Pumpenschwengel: "Es kommt einijes auf Sie zu!" Der künftige Bürgermeister kommt kaum zu Wort, nimmt die Unterbrechung aber freundlich-gelassen.

Vor zehn Jahren, als er zusammen mit vier Kumpel vom Otto-Hahn-Gymnasium die Idee hatte, eine Partei zu gründen, "da ging es uns überhaupt nicht um Politik", sagt Zimmermann. "Wir hatten auch keine konkreten Forderungen. Es war mehr Abenteuerlust." Genauso hätten sie eine Band oder eine Theatergruppe gründen können.

Mit 17 durfte er damals zwar wählen, aber noch nicht kandidieren. Erst seit 2004 sitzt er im Stadtrat, ebenso wie Lisa Riedel. Anfangs hatten sie das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Aber so manche Anfänger-Frage erwies sich als allzu berechtigt. "Wir haben schnell gemerkt: Die anderen kochen auch nur mit Wasser", sagt Fraktionschefin Riedel.

Der typische Polit-Sprechstil, dieses floskelhafte Schaulaufen mit "die Menschen draußen" und "in den Blick nehmen", scheint Zimmermann völlig abzugehen. Manchmal verspüre "jemand aus SPD oder CDU den Wunsch, Bundestag spielen zu wollen", sagt er, aber in einem Stadtrat mache das alte Lagerdenken keinen Sinn. "Wenn es um den Busverkehr geht, kann man das ja nicht marktradikal lösen und sagen: Wir schaffen den öffentlichen Bus ab, jeder soll selber sehen, wie er wohin kommt. Wir müssen als Partei in Monheim auch keine Meinung zum Einsatz in Afghanistan haben."

In Konflikten denkt er nicht - aber sie werden ihn finden.

Draußen liegt die Sonne in der Abenddämmerung silbrig auf dem Rhein, auf der Uferpromenade tummeln sich Jogger und Hunde-Gassi-Geher. Aber politisch liegt über dem friedlichen Rheinland seit Dekaden ein hässlicher Begriff: "Klüngel". Man werde ja sehen, wie schnell sich Peto "von diesem Klüngel vereinnahmen" lasse, sagt ein älterer Herr mit Dalmatiner ("ich selbst bin traditionell FDP").

"Politischer Erfolg ist kein Zufall", glaubt Gastwirt Giorgio Bartoletto, seit rund 30 Jahren in Monheim. "Diese jungen Leute sind noch nicht so festgefahren und beeinflusst von Interessengruppen." Das fänden die Wähler gut.

Die Monheimer Altstadt wirkt an diesem Abend so ausgestorben, dass eine kleine Gästegruppe im Gartenlokal Flammengarten geradezu auffällt.

Die Meinungen über Peto sind geteilt. Aber vor der Wahl habe sich "schon Unmut zesammejebraut". Zum Beispiel die Sache mit der IMR: Ganz schnell hätten Bürgermeister und Stadtplaner die Ansiedlung der großen Schrottverwertung im Gewerbepark deichseln wollen, "bis mal jemand gefragt hat: Wie viel Schrott und wie viel Lkw-Verkehr kommen da eigentlich auf uns zu?"

Auch die langfristige Verpachtung der Gastronomie auf dem Monberg sei "ein Griff ins Klo" gewesen. Nachts leuchtet das Restaurant in märchenhaften Farben wie Disneyworld, "aber gehen Sie da mal rein, da ist keiner! Wer isst denn schon auf einem früheren Müllberg?!" Die Leute hätten die Nase voll vom "Geklüngel".

Im Programm von Peto stehen gerade mal zwölf Zeilen zu "Wirtschaft und Arbeit". Peto ist keine Wirtschafts-, sondern eine Lebensumfeld-Partei. Sie will Tempo-30-Zonen. Sie will, dass der triste Busbahnhof endlich umgestaltet wird. Dass es Sammeltaxis gibt und mehr Solarzellen auf öffentlichen Gebäuden. Und dass die Sportstätten saniert werden.

Wenn es in Monheim eine "Botschaft" gibt, dann die: Wähler belohnen nicht mehr die Routiniers, sondern die Authentischen. Hätten sich die "alten" Parteien nicht längst Sorgen machen müssen? Die SPD, jahrzehntelang Lokalmatador, hatte 1994 noch 24 Sitze, jetzt hat sie noch acht. Die CDU verfügte 1999 über 20 Mandate, heute sind es zwölf. "Die sind jetzt echt angefasst", sagt einer der Stammgäste, "die wetzen schon die Messer." Daniel Zimmermann müsse sich auf Gegenwind gefasst machen.

"Ich habe nicht kandidiert, um Karriere zu machen", sagt Daniel Zimmermann gelassen. Er promoviere auch nicht aus Karrieregründen, ihn habe einfach das Thema interessiert: der Bedeutungswandel französischer Verstandes-Begriffe im Laufe der Geistesgeschichte. Er könnte auch in den Schuldienst gehen. Stattdessen wird er sich mit Bebauungsplänen, Personalräten und Kostenvoranschlägen herumschlagen. "Ich hoffe, dass wir weiterhin junge Leute dazu bringen, sich aktiv einzuschalten."

An Nachwuchs mangelt es der Jugendpartei nicht. Die jüngste Peto-Ratsfrau Svenja Oberdieck ist 18 und geht noch zur Schule. Weil aber auch die Mitglieder (derzeit 250, im Durchschnitt 24 Jahre) und Anhänger einer Jugendpartei älter werden, hat Peto im Juni eine neue Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen: Sie nennt sich "AG 30 plus".