Die Kanzlerin geht auf Distanz zu mehreren CDU-Länderchefs. Seehofer betont Einigkeit “in der Substanz“. Heute wird das Wahlprogramm vorgestellt.

Berlin. "Wir haben die Kraft" - dieser Slogan prangte auf dem Pult, an dem Angela Merkel gestern in der CDU-Zentrale gemeinsam mit Horst Seehofer Kernpunkte des neuen Wahlprogramms erläuterte, das heute im Berliner Congress Centrum am Alexanderplatz der Öffentlichkeit präsentiert wird. Der Slogan, der auch auf Plakaten Verwendung finden dürfte, entspricht der Hauptbotschaft, die die Union im anstehenden "Kompetenzwahlkampf" aussenden will. Und diese heißt laut Merkel: "Wir können die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland leiten." Doch der Slogan ließ sich nach dem turbulenten und für die CDU-Vorsitzende unerfreulich verlaufenen Wochenende auch anders - etwa so - ergänzen: "Wir haben die Kraft ... auch andere Meinungen zu ertragen." Denn Merkel war es trotz eines via "Bild am Sonntag" kommunizierten Machtwortes, dass es mit ihr in der nächsten Legislaturperiode keine Steuererhöhungen gebe, nicht gelungen, die für sie schädliche Debatte zu stoppen.

Im Gegenteil: Nach dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU), der sich zum Entsetzen der CDU-Vorsitzenden entgegen der Programmatik für die Erhöhung der Mehrwertsteuersätze ausgesprochen hatte, war am Sonntag auch noch der für seine Unabhängigkeit in der Urteilsfindung berüchtigte Wolfgang Böhmer in die Bütt gegangen. Er hatte im Berliner "Tagesspiegel" ein Erhöhung des Spitzensteuersatzes ins Gespräch gebracht: "Ich habe gegen höhere Steuersätze für Bestverdiener nichts einzuwenden. Wenn sie wie Manager von DAX-Unternehmen oder Fußballspieler ohne persönliches Risiko erhebliche Einkünfte erzielen, spricht nichts gegen eine höhere Belastung." Er unterstützte zugleich die Zusage von Steuerentlastungen für den Mittelstand im Wahlprogramm der Union. Merkel sah sich deshalb gestern gleich mehrfach genötigt, sich von Böhmer zu distanzieren ("Ich halte seinen Vorschlag für falsch. Unser Programm ist ein anderes"). "Die Menschen können sich auf mich verlassen", bekräftigte sie - doch allein der Umstand, dass auch Seehofer mehrfach wiederholte, Steuererhöhungen kämen nicht infrage, illustriert das rhetorische Problem, das die Ministerpräsidenten mit ihren Mindermeinungen den beiden Spitzen-Wahlkämpfern beschert haben. Insbesondere Seehofer bemühte sich darob um die Demonstration von Geschlossenheit, um die Glaubwürdigkeit der Partei nicht noch weiter zu gefährden. Kein böses Wort mehr zu den von Merkel strikt abgelehnten Forderungen der CSU, im Wahlprogramm konkrete Daten für Steuersenkungsstufen zu verankern. Schließlich seien die Schwesterparteien sich "in der Substanz völlig einig".

Das hörte man gerne beim Wunschkoalitionspartner FDP, der als solcher im Unionsprogramm klar benannt wird. Der Parteivorsitzende Guido Westerwelle schickte zur Sicherheit aber noch mal hinterher: "Ich unterschreibe einen Koalitionsvertrag nur, wenn darin ein faires, leistungsgerechtes Steuersystem vereinbart worden ist."

Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der "Bild am Sonntag" erwarten hingegen 88 Prozent der Befragten (501 am 25. Juni), dass die Steuern eher steigen werden - unabhängig davon, wer die nächste Regierung stellt. Für 62 Prozent ist demnach die Steuerfrage wichtig oder sogar sehr wichtig dafür, wem sie am 27. September ihre Stimme geben.

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier warf Merkel angesichts der Steuerdebatte indirekt Führungsschwäche vor. "Die Öffentlichkeit wird sich dazu ihr Bild machen, da bin ich mir ganz sicher", so Steinmeier.